Rezensionen

Hier folgen in den nächsten Tagen/Wochen/Monaten einige Buchbesprechungen, die ich in der letzten Zeit geschrieben habe(und nicht bei Zeitungen unterbringen konnte). Die Texte sind bis auf geringfügige Überarbeitungen unverändert.



Jahrmarkt der Perspektiven - Zwei Leitfäden durch die Postmoderne

Die Postmoderne(oder was sich dafür hält) macht weiter von sich reden - zumindest zwischen Buchdeckeln. Sie will sich nicht als Wurmfortsatz der Moderne behandeln lassen, als deren Verlängerung oder Neubesinnung(A. Giddens), die postmoderne Haltung ist eine des Abschieds. Gianni Vattimo hat vor einigen Jahren das "Ende der Moderne" ausgerufen.

Hans-Martin Schönherr-Mann hat mit "Postmoderne Theorien des Politischen" sowie mit "Postmoderne Perspektiven des Ethischen" in rascher Folge zwei Darstellungen der jüngeren Debatte vorgelegt.Die Postmoderne zehrt nicht zuletzt von den Defiziterfahrungen und Enttäuschungen, die mit dem Aufklärungs- und Emanzipationsprojekt der Neuzeit verknüpft sind. Das motiviert die Rede vom Ende der "großen Erzählungen"(Lyotard), aus denen die Moderne ihr Selbstverständnis und ihre geschichtsphilosophische Legitimation schöpfte.

Bei Schönherr-Mann liest man`s nicht anders. Die Katastrophen des Totalitarismus und natürlich Auschwitz dienen als Beleg für das Scheitern der traditionellen Philosophie, die an Objektivität und Wahrheit und an die Rechtfertigung universaler moralischer Normen geglaubt hat. Hier macht es sich der Autor denkbar einfach: eine interne Kritik, die etwa ansetzt bei der Schwierigkeit, Aussagen im Sinne des Realismus als "wahr" zu kennzeichnen oder bei der Frage, ob die klassische Trennung von Tatsachen und Werten im Lichte von Überlegungen, wie sie z.B. Hilary Putnam vorgetragen hat, noch plausibel erscheint(statt eines schlichten Weberreferates), hätte mehr überzeugt. Hat nicht gerade Auschwitz bereits für alles mögliche herhalten dürfen? Neue Wendungen der Philosophie sollten es nicht nötig haben, sich auf Massenmorde zu berufen, wenn ihre Argumente stichhaltig genug sind.

Mit umständlichen Begründungen hält sich Schönherr-Mann nicht lange auf. Sein Favorit für die politische Theorie ist Richard Rorty, der Wahrheits- und Objektivitätsansprüche sprachanalytisch in die Schranken weist. Im Hintergrund stehen Nietzsches Perspektivismus und Wittgensteins Theorie der Sprachspiele, derzufolge es nur verschiedene Redeweisen über eine im Grunde wahrheitsindifferente Welt gibt.Objektiv wahre Aussagen lassen sich als solche nicht mehr auszeichnen, auch nicht durch andere Sprachspiele, die über "wahr" und "falsch" nur in den eigenen Grenzen befinden können.

Die Pointe für die politische Philosophie wie für die Ethik besteht im unvermeidlichen Geltenlassen vielfältiger Perspektiven. So gesehen ist die Postmoderne Pluralismus pur. Im Vergleich mit einem der wichtigsten politischen Philosophen der Neuzeit, Thomas Hobbes, mutet Rortys Position allerdings sympathisch "modern" an. Die eiserne Klammer leidenschaftsloser Deduktionen, in denen Hobbes dem Leser die Machtlogik des Leviathan andemonstriert, ersetzt Rorty durch ein fast literarisches Geplauder, das den Leser rhetorisch für sich einnehmen will. Den politischen Institutionen schenkt Rorty wenig Aufmerksamkeit - ihre Funktion wird vorausgesetzt. Gemessen an der klassischen politischen Philosophie vertritt Rorty damit einen Minimalisus, der sich zu seiner Begründungsunfähigkeit bekennt. Demokratien sind kontingent, keine fundierende Erzählung kann ihnen eine bessere Grundlage verschaffen als eben die, gut zu funktionieren.

Dagegen steigen im Politischen wie in der Ethik die Ansprüche an das Individuum. Wenn die Steuerungssysteme des Staates an ihre Grenzen stoßen - sei es, weil die Bürger staatlichen Eingriffen mißtrauen, sei es, weil der Nationalstaat im Spiel der Weltkonzerne nicht mehr mithalten kann -, dann bleibt die Gestaltung des Miteinander zunehmend dem Einzelnen überlassen. Rorty denkt an individuelle Selbstkultivierung, um sensibel füre Grausamkeiten zu werden; Levinas möchte, daß wir dem Anderen in seiner Einzigartigkeit als je besonderer Mensch begegnen. Die Postmoderne präsentiert sich in diesen Autoren als eine Theorie des Subjekts, dem die Konfrontation mit Anderen - als andere Sprachspiele, als anderer Mensch - zum Problem geworden ist. Damit ist der politische Konsens gewiß nicht ohne Chancen, aber mehr denn je steht er auf dem Spiel.

Hans-Martin Schönherr-Mann: Postmoderne Theorien des Politischen. Pragmatismus - Kommunitarismus - Pluralismus. Wilhelm Fink Verlag. München 1996
Ders.: Postmoderne Perspektiven des Ethischen. Politische Streitkultur - Gelassenheit - Existentialismus. Wilhelm Fink Verlag. München 1997



In Geschichte ertrunken ? - Eine Kritik der Universitätsphilosophie

Unzufriedenheit mit dem universitären Alltagsbetrieb ist, zumal in Zeiten öffentlich ausgetragenen Streites um notwendige Studienreformen, vermutlich der Normalfall. Darüber hinaus gibt es Studiengänge, die in besonderem Maße mit den Enttäuschungen der Studenten konfrontiert werden.

Die Theologie kann zu diesen Fächern gerechnet werden - die Probleme bei der Konfrontation des theologischen Anfängers mit der historisch-kritischen Methode in NT und AT sind längst Gegenstand einschlägiger Untersuchungen. In der Germanistik führt der Weg zu den Klassikern den Neuankömmling in der Regel über entmutigende Berge von Sekundärliteratur.

Die Philosophie, so scheint´s, begleitet Unzufriedenheit mit ihrem Normalbetrieb seit den Gründertagen. Wer denkt nicht an Platos Attacken auf die Lehrtätigkeit der Sophisten oder später an die Kritik an der aristotelischen bzw. leibniz-wolffschen Schultradition? Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, die "Kritik an der deutschsprachigen Universitätsphilosophie" von Joachim Jung in diesem Sinne als Exempel des wohlbekannten Normalfalls beiseite zu legen.

Jung macht es dem Leser nicht leicht. Die Darstellung ist durchweg polemisch, Belege für seine starken Behauptungen liefert der Autor viel zu selten. Ein unkonventioneller Philosoph wird vom Wissenschaftsbetrieb "mit tiefem Haß" verfolgt(74), an anderer Stelle macht Jung eine "ideologisch gestählte Einheitsfront von Kantianern, Hegelianern und anderen Traditionalisten" aus (74), die Machenschaften der Universitätsbürokratie gleichen "Schüsse(n) aus dem Hinterhalt"(82). Mehrere Ablehnungen eines unter falschem Namen engesandten Popper-Aufsatzes nimmt Jung zum Anlaß, die vermeintlich mangelhafte Erstellung von Gutachten zu beanstanden - aber hatte Jung selbst einen besseren Grund als den prominenten Namen, den Text zur Veröffentlichung anzubieten? Poppers Abhandlung aus dem Jahre 1964 war 1996 als frischer Beitrag vielleicht doch nicht mehr präsentabel. Einen Essay von Jaspers zur geistigen Situation der Zeit würde man heute wohl auch nicht mehr anstandslos abdrucken.

Jungs Haupteinwand gegen die Universitätsphilosophie gilt der Traditionslastigkeit der Disziplin, die sich vor allem mit ihrer Geschichte befasse statt aktuelle Themen aufzugreifen. Nun ist freilich kein guter Grund auszumachen, weshalb gerade der Philosophie verwehrt werden sollte, ihre Geschichte zu schreiben - schließlich ist Wissenschaftsgeschichtsschreibung eine anerkannte Beschäftigung -, aber Jungs Klage ist längst kein Einzelfall mehr. Der Münchener Philosoph Lorenz Puntel hat vor einiger Zeit Aufsehen und Widerspruch erregt mit seiner Kritik an einer vornehmlich historisch ausgerichteten Universitätsphilosophie. Ähnliche Töne sind von Peter Janich zu hören, der moniert, daß über 90 Prozent der deutschen Philosophen von Philosophiegeschichtsschreibung in Anspruch genommen sind. Herbert Schnädelbach diagnostizierte dem Fach bereits vor über zehn Jahren "morbus hermeneuticus". Als Therapie wird dann gerne eine Kur bei den angelsächsischen Kollegen angeraten.

Was ist zu tun - wenn etwas zu tun ist? Jungs Empfehlung, die Philosophischen Fakultäten aufzulösen und einzelne Philosophen den übrigen Fachbereichen zuzuweisen, um so das Gespräch der Philosophie mit den Einzelwissenschaften zu beleben, dürfte nicht einmal im Zuge der Universitätsreform Chancen haben. Radikale Neubesinnung gibt es wohl in philosophischen Theorien - für philosophische Bürokratien ist dergleichen unbekannt. Wer also die Philosophie aktueller wünscht, bleibt vorerst auf Appelle angewiesen und kann sich gegebenenfalls auch selbst ermuntern: do it yourself!

Joachim Jung: Der Niedergang der Vernunft. Kritik der deutschsprachigen Universitätsphilosophie. Campus-Verlag, Ffm/New York 1997



Die Geburt der Ordnung aus Unsicherheit - Michael Makropoulos erzählt eine Geschichte der Moderne

Der Strom der Literatur zur Selbstbestimmung und -besinnung der Moderne nimmt kein Ende. Mittlerweile scheint eher ihr Reflexionsprodukt, die Postmoderne, in die publizistische wie terminologische Defensive geraten zu sein, seit sich die Überzeugung durchzusetzen beginnt, der klassischen könnte eine "zweite Moderne" folgen, in der sich unerwünschte Begleiterscheinungen der ersten reflexiv beheben lassen.

"Moderne und Kontingenz" - der Titel des Buches von Michael Makropoulos deutet bereits die zentrale These an. Kennzeichen der Moderne ist danach die Steigerung von Kontingenzerfahrung: in den europäischen Gesellschaften der Neuzeit entsteht, vermittelt durch die Entdeckung neuer Kontinente und Fortschritte in den Wissenschaften, das Bewußtsein, daß alles, was ist, auch anders sein könnte. Die überkommene Ordnung erscheint nur mehr als eine Möglichkeit neben anderen und womöglich besseren.

Dem korrespondiert ein wachsendes Planungs- und Sicherheitsbedürfnis - man kann planend die Verbesserung der Lebensbedingungen anstreben, kann sich die Vervollkommnung des Unvollkommenen als Zweck setzen. Man muß neuerdings aber auch planen, denn die einsetzende "Deontologisierung" erzeugt Unsicherheit hinsichtlich der Stabilität gesellschaftlicher Ordnung. Neuzeitliche Gesellschaften beginnen deshalb mit Maßnahmen zur Sozialdisziplinierung.

Belehrt von Foucault und Blumenberg kann Makropoulos so die Paradoxien moderner Gesellschaften plausibel machen, in denen ein neuerwachtes Kontingenzbewußtsein die Probleme allererst hervorbringt, die anschließend mit kontingenten Mitteln behoben werden. Dem "Es könnte alles auch anders sein" entkommt die Moderne nicht mehr: Möglichkeitsdenken und das Auseinanderdriften von Erfahrung und Erwartung sorgen dafür, daß sich auf einen Plan immer noch ein besserer finden läßt. Kurioserweise führt diese Maxime des "plus ultra" nach Makropoulos nicht zur Einsicht in die Vergeblichkeit sämtlicher Verbesserungsanstrengungen und zur Resignation - jedenfalls ist das nicht der Hauptstrom der Moderne. Einzelne Stimmen, die den Wirklichkeitszerfall beklagen - Benn und Musil etwa - führt der Autor dennoch vor. Bei Benn hätte man gerne erfahren, in welchem Verhältnis seine Kritik der Moderne zu seinem kurzzeitigen Engagement fürs Dritte Reich gestanden haben mag, aber womöglich erschien dieser Schwenk Benns Makropoulos zu marginal. Durchgehend hingegen war bei Benn, Nietzsches Gedanken von der artistischen Rechtfertigung der Welt aufgreifend, der Versuch, gegen die destabilisierte Wirklichkeit die Kunst als einzige Wirklichkeit zu setzen.

Michael Makropoulos, Modernität und Kontingenz, München 1997