Auch in anderen Formen des elektronischen Textes können diese Eigenschaften
der Flüchtigkeit und Veränderlichkeit festgestellt werden. E-Mail-Botschaften zum
Beispiel werden zumeist nicht ausgedruckt, sondern lediglich auf dem Bildschirm
gelesen. Die Immaterialität ist dabei zugleich Ausdruck und Symptom der Flüchtigkeit:
"hard copies are optional, as is electronic storage of messages (at least on the level
of the individual). Many of us write-and-send, read and delete.
Moreover, longer CMC-transmitted texts are often kept only in
electronic form, for reference at the user's convenience.
Thus, whereas in past individual texts were objects which we
could at the least both see and touch as things-in-the-world,
now we can choose to see them only as constellations of pixels on the computer screen."(Danet)
Jeder, der schon einmal mit elektronischen Textverarbeitungsprogrammen gearbeitet hat, kennt die offensichtlichen Unterschiede zur handschriftlichen Arbeit an einem Text. Elektronische Textverarbeitung ermöglicht es, binnen Sekundenschnelle auszuschneiden, zu verschieben, zu kopieren, einzufügen, zu löschen - der Text bleibt veränderlich und flüchtig bis er ausgedruckt ist. Erst dann ist er fixiert. E-Mail entspricht dem vollständig, der Text einer E-Mail-Botschaft wird ebenso editiert wie jeder andere elektronisch erstellte Text.
Bei E-Mail kommt durch die "Reply"-Funktion die Möglichkeit für den Empfänger einer Botschaft hinzu, in den empfangenen Nachrichtentext hinein seine Antworten zu schreiben, sozusagen in eine Art mündlichen Dialog mit dem E-Mail-Partner zu treten, bzw. Einen solchen mündlichen Dialog mittels E-Mail zu simulieren. Bei angeregten, längeren Diskussionen zu einem Thema sieht eine solche mehrmals hin- und hergesandte E-Mail tatsächlich aus, wie die Niederschrift eines mündlichen Dialoges zum Thema. Die zeitliche Abfolge von Aussagen wird von den verschiedenen E-Mail-Programmen unterschiedlich dargestellt, so das sich selbst nach längerem hin- und her noch immer erschließen läßt, welche Aussage auf welche andere Aussage antwortet etc. Natürlich sieht es in der Praxis, aufgrund der zunehmenden Länge (und damit Datenmenge) oft so aus, daß ältere Statements wieder gelöscht werden. Dennoch kann man sagen, daß auch E-Mail, im Vergleich zum Austausch per konventionellem Brief, stark orale Qualitäten in sich birgt, unter anderem eben die Flüchtigkeit.
Diese oralen Qualitäten zeigen sich auch sehr deutlich im IRC und in den MUDs. Dort wird gechattet, ein Ausdruck, der bereits auf den Konversationscharakter der dort ablaufenden Kommunikation hinweist. Wie bei anderem elektronischen Text ist bei den Chats das Speichern der abgelaufenen Konversation prinzipiell möglich, doch verwandelt man dadurch das aufgezeichnete Gespräch lediglich in eine editierbare elektronische Texteinheit, das logfile (wobei die Verwendung von logfiles zum Belegen von Äusserungen eine zweifelhafte Sache ist, da diese ja ebenso editierbar -also auch manipulierbar - sind wie andere elektronische Texte) . Allein durch den Gesprächscharakter von IRC- oder MUD-Kommunikation wird der Text der Channels ständig erweitert, verändert und ergänzt von allen Teilnehmern an einem Gespräch, die damit zu Autoren des Textes werden, innerhalb dessen sie sich bewegen.
Zum Aspekt der inhaltlichen Flüchtigkeit - der Veränderbarkeit von elektronischem Text - kommt hinzu, daß elektronische Texte nicht zwangsläufig, respektive, nur wenn sie in hardcopy vorliegen, eine physikalische Präsenz haben; zunächst erscheinen sie lediglich in einer virtuellen Raum-Zeit-Umgebung auf dem Bildschirm. Der Text, so Danet, verliere dadurch seine "Aura" (Danet bezieht sich hier bei der Verwendung des Ausdrucks auf W. Benjamin) . Diese Immaterialität unterstützt die Flüchtigkeit und ist gleichzeitig, etwa beim Surfen im WWW, Ausdruck derselben.
Veränderlich sind elektronische Texte also auf vielfältige Weise: Hypertext durch die Zusammenstellung von verschiedenen Hypertextelementen und das Hinzufügen von Text oder Links in offen angelegten Hypertextsystemen durch den User, andere elektronische Texte, wie zum Beispiel Text in elektronischen Textverarbeitungsprogrammen, oder in E-Mail-Botschaften, durch die Möglichkeit des beliebigen Einfügens und Löschens von Zeichen, Wörtern oder ganzen Textpassagen. Anders als zum Beispiel beim Einfügen von Anmerkungen in gedruckten Text bleibt der ursprüngliche Text nicht als geschlossene Einheit erkennbar bestehen, die Veränderung kann spurlos geschehen, der Weg hin zur momentanen Form des Textes ist nicht mehr nachvollziehbar, oder zumindest nur, wenn der Nutzer die Veränderung kennzeichnet. Auf ganz unterschiedliche Weisen entstehen so immer neue elektronische Texte.
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