Hier nun für alle, die außerhalb des Kreises Neuss wohnen, denn darauf war der Wettbewerb beschränkt, die Gewinnergeschichte zum Nachlesen:

Erinnerungen

von Martin Klein

Erzähl mir eine Geschichte! Bitte, nur noch eine. Er sah seinen Enkel an und mußte unwillkürlich lächeln, als er sein Gesicht erblickte, das Neugier Anspannung und kindliche Unschuld in sich vereinigte. Nein, heute keine Geschichte, sondern etwas viel besseres. Die Wahrheit. Er kramte in einem großen Haufen Gerümpel, um kurze Zeit später ein sehr großes und allem Anschein nach auch sehr altes Buch zutagezufördern. Hier, sagte er und schlug das Buch auf. So hat es einmal hier ausgesehen. Voller Neugier blätterte sein Enkel in dem Buch. Die Schrift war kaum noch zu lesen, die Seiten waren zu sehr vergilbt, aber man konnte noch einige der Bilder erkennen. Bilder von merkwürdigen Geschöpfen. Was sind das hier? Einen Augenblick wurde das Gesicht des Großvaters von einer schmerzliche Erinnerung verdunkelt. Das, begann er langsam, waren Tiere. Sie lebten einst mit uns zusammen auf dieser Welt. Das war bevor das große Unglück kam. Sein Enkel sah ihn erstaunt an. Du meinst, wir waren nicht alleine? Nein. Es wimmelte von Leben. Überall tummelten sich die verschiedensten Kreaturen. Auf einem Meter lebte mehr, als heute auf der ganzen Welt. Einige Tiere aßen sich gegenseitig auf und wir pflegten auch einige von ihnen zu essen. Er wußte das war schwer zu glauben. Nahrung die nicht aus einem Molekular Modulator stammte. Aber vieles war geschehen , was nur schwer zu glauben war. Was ist das hier für ein Tier?, die kleine Hand deutete auf ein gut erhaltenes Bild. Es zeigte ein merkwürdiges Geschöpf ohne Arme und Beine. Wie konnte sich so etwas fortbewegen? Das ist ein Fisch. Sie brauchten keine Arme und Beine, weißt du, sie lebten im Wasser. Seit dem großen Unglück lebt leider nichts mehr dort. Die kleinen Hände blätterten weiter und fanden ein anderes gut erhaltenes Bild. Es zeigte allerdings nur ein paar kleine Kreise und Punkte. Das ist eigentlich kein Tier. Das sind Zellen, die von einem Virus befallen sind. Weißt du, das hat mit dem großen Unglück zu tun, das über uns hereingebrochen ist. Erneutes blättern. Ich wünschte die Tiere würden noch leben. Sie sehen lustig aus. Er blätterte um und erschrak. Ein großes Tier war dort abgebildet. Mit großen gelb leuchtenden Augen und riesigen Klauen. Es stand auf vier Beinen und richtete sich herausfordernd auf. Das ist nur ein Insekt. Sie waren klein und absolut ungefährlich, beruhigte ihn der Großvater. Nachher wurden es allerdings zu viele. Und wer weiß, vielleicht hätte ohne sie dieses Unglück niemals stattgefunden. Aber das sind Spekulationen. Wenn die Zeit gekommen ist, ist sie da. Auch die Insekten haben nicht überlebt. Keiner hat überlebt, außer uns. Aber wir waren schon immer etwas besonderes. Die Krönung der Schöpfung.

Die kleinen Hände blätterten weiter, aber plötzlich griff der Großvater nach dem Buch und wollte es weglegen. Warte, einen Moment. Was ist das für ein Tier?. Der Alte seufzte. Das ,sagte er, während er das Buch behutsam aus den Händen seines Enkels zog, das waren die blöden Viecher die den ganzen Mist verursacht haben. Sein Enkel starrte mit einer Mischung aus Furcht und Faszination auf eine merkwürdige Gestalt. Sie stand auf zwei Beinen und hielt einen Speer in der Hand. Irgendwie sah sie gewalttätig und ziemlich primitiv aus. Behutsam strich ihm sein Großvater die Nackenhaare glatt, die sich aufgerichtet hatten, so sehr hatte er sich gefürchtet. Sich selbst säuberte er ein wenig das Fell, setzte sich auf die Hinterbeine auf und entrolte seinen langen rosafarbenen Schwanz. Komm, quiekte er, laß uns zurück gehen, es ist schon spät.

Zons, den 18.10.96