Frauen auf dem Pferd, die Männer im Fußballstadion
Von Ahmad TahenIn schwarzem Tschador blauen Jeans und weißen Turnschuhen fegt sie wie ein Wirbelwind durch den Raum Die Männer springen von ihren Stühlen, die Frauen verbeugen sich leicht und lächeln artig. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, nickt dem Besucher flüchtig zu und erteilt ihren Mitarbeitern die Tagesbefehle. Faeza Haschemi, Tochter des ehemaligen Staatspräsidenten Ali Akbar Rafsandschani, ist die Herausgeberin und Chefredakteurin der Tageszeitung "Zan", auf deutsch "Die Frau", eines Novums, das in der Medienwelt seinesgleichen sucht "Zan", sagt die Zeitungsmacherin, "ist kein feministisches Blatt. Doch wir räumen den Belangen der Frauen viel mehr Raum ein als andere Zeitungen." Die sechsunddreißigjährige Politologin, verheiratet mit dem Sohn eines Ajatollahs und Mutter zweier Kinder; ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie leitet das "Komitee für Frauensport der islamischen Länder" und gehört zur Führungsriege der Partei der "Manager des Aufbaus", wie sich ein Zusammenschluß von muslimischen Technokraten nennt Außerdem sitzt sie im Madschles, dem iranischen Parlament, wo sie gelegentlich den engstirnigen Mullahs die Leviten liest. Bei den letzten Parlamentswahlen bekam Faeza Haschemi nach Nategh Nuri, dem Kandidaten des konservativen Lagers, die meisten Stimmen in Teheran. Es sind, so vermutet man, die Frauen der Hauptstadt gewesen, die Faeza zu ihrem Erfolg verholfen haben. DieTochter des früheren Staats-Chefs gilt als Leitbild der Frauenpower in der Islamischen Republik. Vor zwei Jahren machte Faeza, von der gesagt wird, Sanftmut gehöre nicht zu ihren Tugenden, im Reiche der Ayatollahs Furore. Sie empfahl ihren Schwestern, sich durch Leibesübungen fit zu halten: Radfahren und Reiten seien ideale Sportarten für Frauen. Die Aufforderung zu derlei Freizeitgestaltung brachte das muslimische Blut in Wallung. Die konservativen Mullahs fürchteten, daß Frauen auf Zweirädern oder auf dem Roß die Männer zu sündigen Gedanken verleiten könnten. "Schwester Faeza muß sich beim Jüngsten Gericht vor dem Thron des Allmächtigen verantworten", hieß es damals in einer Erklärung der Hezbollahi, der Schlägertruppen der fundamentalistischen Machthaber.
Eine betont feministische Zeitschrift ist "Zanan" "Die Frauen". Das vielgelesene Monatsheft ist die Stimme der Gleichberechtigung. Im Namen eines reformatorischen Islam, der sich an den Wandel der Zeiten anpassen will, bekämpft "Zanan" vehement die herkömmliche Fiqh, die islamische Jurisprudenz, in der das "schwache Weib", wie viele Mullahs die Frauen nennen, weitgehend entrechtet ist Es war "Zanan", die eine heftige Debatte über das Sorgerecht entfachte. Nach dem Gesetz der Islamischen Republik müssen die Kinder nach der Scheidung ihrer Eltern beim Vater bleiben. Eine Mitarbeiterin der Zeitschrift, die Juristin Schirm Ebadi, zog vor Gericht, um einem Vater, der seinen achtjährigen Sohn mißhandelt hatte, das Sorgerecht entziehen und es der Mutter zusprechen zu lassen - mit Erfolg. Eine andere Autorin von "Zanan", Rochschan Bani-Etemad, wurde bekannt durch einen Film mit dem Titel "Das blaue Kopftuch". Der Film ist ein Aufschrei gegen das religiös legitimierte Konkubinat. Nach schiitischem Recht dürfen Männer neben vier Hauptfrauen eine unbegrenzte Anzahl von Sigha' Konkabinen, heiraten. Die "Ehe auf Zeit" wie die Einrichtung genannt wird, kann für eine Stunde, einen Monat, ein Jahr oder mehr vereinbart werden.
Die Chefredakteurin von "Zanan" ist die siebenundvierzigjährige Schahla Scherkat, eine gläubige Muslimin. Sie ist sogar eine Hadschia' eine Mekkapilgerin. "Wenn der Feminismus die Gleichberechtigung der Geschlechter bedeutet", sagt die schwarzgekleidete Frau, "dann sind wir Ferninistinnen" Die Aufgabe der Frauen sei nicht nur die Mutterschaft. Eine Frau habe auch Verpflichtungen sich selbst, ihren Fähigkeiten und der Gesellschaft gegenüber, meint sie. "Die Losung der Revolution war Gerechtigkeit", sagt Mehrangiz Kar, eine renommierte Anwältin, die für "Zanan" schreibt. Als man den Frauen ihre Rechte vorenthalten wollte, sagt Frau Kat; "meldeten sie sich in der Politik, der Kultur und in den Wissenschaften zu Wort. Immer mehr Frauen studieren. Selbst die Mädchen auf dem Land streben nach höherer Bildung. Es waren vor allem Frauen und Jugendliche, die am zweiten Tag des persischen Monats Khordad, also im Mai 1997, mit überwältigender Mehrheit einen bis dahin fast unbekannten Geistlichen zum neuen Staatspräsidenten wählten. Sayyed Muhammad Chatami hatte den Frauen mehr Rechte und der 3ugend ein freieres Leben versprochen. Seitdem wird vom 2. Khordad als ,Wunder", als "Zeitenwende" oder als "Schicksalstag" gesprochen "Mit dem 2. Khordad beginnt die dritte Republik" meint Haschern Sabbagnian. Der ältere Herr, der sich als "revolutionstreuen Oppositionellen" bezeichnet, war der erste Innenminister nach dem Sieg der Revolution. Die erste Republik, so Sabbaghian' stand im Zeichen von Imam Chomeini. Die zweite stand im Zeichen des Pragmatikers Rafsandschani. "Die Botschaft des 2. Khordad aber ist die Freiheit", sagt der Politiker.
Tatsächlich weht im Land seit den Wahlen eine leichte Brise der Freiheit. Der kritische Journalismus blüht Die Tageszeitung "Tus" erreichte in kurzer Zeit eine Auflage von dreihundertfünfzigtausend Im Rausch der Freiheit brach sie mit allen bis dahin gültigen Tabus. Gedruckt wurde zum Beispiel ein Interview mit Giscard d'Estaing in dem der ehemalige französische Staatspräsident meinte, es seien die Amerikaner gewesen, die den Schah fallenließen und damit der islamischen Revolution den Weg bereiteten. Der Gottesstaat als Werk des "US-Teufels"? Es war ein gefundenes Fressen für die Hardliner. Auf Geheiß des obersten Richters der Republik, Mohammad Jazdi' wurde "Tus" verboten. Der Herausgeber, der Chefredakteur und zwei Autoren, die alle zu den islamischen Reformem gehören, landeten im Gefängnis. "Das ist die Rache für den 2. Khordad" protestierten die Zeitungen. Nach ein paar Wochen sah sich Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei gezwungen, die Freilassung der Inhaftierten zu veranlassen. "Freiheit der Meinung", skandieren die Demonstranten in Khiabane Azadi vor der Teheraner Universität In der Hand halten sie die Ausgaben der verbotenen Zeitung "Tus". Die Kinder der Revolution protestieren gegen die Selbstherrlichkeit der Theokraten. Die muslimischen Studentenvereine, Anhänger Chatemis, haben zum Protestmarsch aufgerufen. In den hinteren Reihen des Zuges gehen schwarzgekleidete Frauen. "Der Souverän dieses Landes ist das Volk, ist das Volk", ertönt es aus tausend Kehlen Aus der Gegenrichtung kommt eine Schar von bärtigen Männern. "Tod den Liberalen", rufen sie. Über ihren Köpfen schwenken sie brennende amerikanische Fahnen. Es sind die Hezbollahi' die seit Jahren die Gegner der klerikalen Herrschaft schikanieren. Die Studenten sind vorbereitet Sie setzen sich aufs Pflaster und senken ihre Köpfe zum Gebet. Das fromme Sit-in entwaffnet die "Gottesparteiler". Keiner traut sich, die Betenden anzugreifen, selbst wenn diese Liberale sind. Bald ziehen die Hezbollahi unverrichteter Dinge davon. "Tod den Taleban", skandieren die Demonstranten. Mit "Taleban" sind nicht die afghanischen Krieger gemeint, sondern die fundamentalistischen Mullahs im eigenen Land.
Frauen in Teheran
Die Parolen der Straße finden ihren theoretischen Ausdruck in den Schriften der islamischen Intellektuellen Einer von ihnen ist der Journalist Akbar Gandschi "Es gibt zwei religiöse politische Richtungen", sagt Gandschi. "Die erste hat eine totalitäre Sicht des Islam. Die zweite eine humanistische und demokratische. Die politischen Kräfte, die Chatami unterstützen, gehörten zu den letzteren," fügt er hinzu.Früher war Gandschi, wie viele andere islamische Modernisten, ein glühender Anhänger von Ayatollah Chomeini. Vor zwanzig Jahren, in den Tagen der Revolution, kämpfte er im Süden Teherans gegen den Schah. Als Ayatollah Chomeini am 1. Februar 1979 nach fünfzehnjähriger Verbannung in die Heimat zurückkehrte, gehörte der damals Zwanzigjährige zu seinen Leibwächtern. "Für uns war er das Licht des Himmels auf Erden, ein von Gott durchdrungener Heiliger', erinnert sich Gandschi. Nach dem Tod Chomeinis, im Juni1989, begann die geistige Metamorphose des jungen Islamisten. ,Wir lasen alles, was ins Persische übersetzt war. Max Weber, Karl Popper, Adorno, Horkheimer, Habermas und die französischen Postmodernen." Gandschi ist gläubiger Moslem geblieben. Er zitiert Popper und den Propheten, Kant und den Koran in einem Atemzug.
"Die Freiheit", sagt Abbas Abdi, "ist eine zarte Pflanze in unserem Land." Man müsse sie vorsichtig gedeihen lassen, damit sie in der ganzen Gesellschaft Wurzeln schlage. Abdi. war Sprecher jener Studenten, die vor neunzehn Jahren die amerikanische Botschaft in Teheran besetzt hatten und das diplomatische Personal mehr als vierhundert Tage lang gefangen hielten. Vor zweieinhalb Jahren traf sich Abdi in Paris mit einer der ehemaligen Geiseln und reichte ihr vor laufenden Kameras zur Versöhnung die Hand. Heute leitet er ein soziologisches Institut in Teheran. Die Popularität Chatamis sei seit den Wahlen weiter gestiegen, sagt Abdi' weil er "mit bedachten Schritten den Weg zur Freiheit bereitet".
Manche in Teheran werfen dem Präsidenten vor, ihm fehle es an Entschlossenheit. "Seinen schönen Worten über die zivile Gesellschaft und die Rechtsstaatlichkeit folgen keine Taten", meint ein Teheraner Arzt. Tatsächlich vollzieht der sanftmütige Chatami eine gefährliche Gratwanderung, die ihn zwischen die hohen Erwartungen der Wähler und seinen bescheidenen Möglichkeiten führt. Denn seine Rivalen, die Rechten, sitzen nach wie vor an den Schalthebeln der Macht. Sie beherrschen das Parlament, in ihren Händen liegt die Justiz, sie befehligen die Revolutionsgardisten, sie haben die reichen Basaris hinter sich, mit denen die Ayatollahs verwandt und verschwägert sind. Der Geheimdienst, der Ende des vergangenen Jahres fünf Dissidenten ermorden ließ, ist eine Kampftruppe der Rechten.Und doch schwimmen dem fundamentalistischen Lager die Felle davon. Für die junge Generation ist die islamische Revolution nur noch ferne Geschichte. Zwei Drittel der sechzig Millionen Iraner sind jünger als fünfunddreißig Jahre. Wie alle jungen Leute auf der Welt träumen sie von Liebe, Geld und gutem Leben, also von diesseitigem Glück. Ihre Helden sind nicht die Märtyrer des Golfkriegs, sondern Filmstars oder Fußballspieler.
Golestan, ein Einkaufszentrum im Norden Teherans, wo die reichen Leute leben, ist von Jugendlichen bevölkert. Die jungen Männer sind genauso angezogen wie ihre Altersgenossen im Westen. Ihre T- Shirts zieren Bilder amerikanischer Filmstars, besonders beliebt ist Leonardo di Caprio, der Held von "Titanic". Die Mädchen haben Jeans an und laufen auf Plateausohlen. Die obligatorischen Kopftücher sind aus bunter Seide und kommen aus Paris, Marke Hermes. Der Überhang aus schwarzem oder grauem Tuch gleicht eher einem modischen Accessoire als dem verordneten Kleidungsstück islamischer Sittsamkeit. In der Cafeteria sitzen Liebespaare, wenn auch in gebührendem Abstand zueinander. Derlei außereheliche Begegnungen wurden noch vor ein paar Jahren mit Peitschenhieben bestraft. Zwei Sittenwächter in grünen Uniformen gehen lässig an der Cafeteria vorbei, ohne die Gäste eines Blicks zu würdigen. "Ich kenne die beiden", sagt die Besitzerin, eine stattliche Matrone im schwarzen Kittel. "Ich stecke ihnen ab und zu ein bißchen Geld zu"
"Die westlichen Freiheiten verderben unsere Jugend", ruft Ayatollah Mahdawi Kani, ein Wortführer der Konservativen, beim Freitagsgebet in der Teheraner Universität. Mit gelangweilten Gesichtern hören etwa zehntausend Gläubige dem weißbärtigen Mann zu. Es sind überwiegend ältere Männer und Frauen aus dem armen Süden Teherans. Wo sind die jungen Leute? "Beim Fußball", antwortet ein Straßenhändler, der vor einem Berg von billigen Kleidern steht und darauf wartet, daß die Frauen ihr Gebet beendet haben.Das Azadi-Stadion mit hunderttausend Plätzen ist brechend voll. Der Teheraner Fußballverein "Esteghlal", auf deutsch "Unabhängigkeit", spielt gegen die Mannschaft der irakischen Luftwaffe, die einst iranische Städte in Schutt und Asche gelegt hatte. Die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ? Aber kein böses Wort fällt über die Kicker von Saddam Hussein. Der Krieg, dem mehr als eine Million Menschen zum Opfer fiel, scheint längst vergessen. Die iranische Elf gewinnt drei zu null. Doch das Gröhlen der Fans. das man aus den Stadien westlicher Städte kennt, bleibt hier aus. Das Alkoholverbot hat manchmal auch seine guten Seiten. Mit dei blauen Fahne ihrer Mannschaft ziehen die Jugendlichen in alle Richtungen davon. "Es gibt nur einen Gott, und der heißt Allah. Und es gibt nur eine Fußballmannschaft, und sie heißt "Esteghlal"', ruft ein junger Mann.
Artikel FAZ Wochendausgabe Mai 1999