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Mutters Erinnerungen, bis 1945 und danach
Erinnerungen aus einer proletarischen Familie

Mutter wurde 1939 in Recklinghausen geboren.
Als der Krieg in Recklinghausen vorbei war, kam Opa Richard schnell wieder aus der Gefangenschaft zurück. Er war Panzer-Grenadier an der Ostfront. Er mochte keinen Krieg.
Als Bergmann war er auch nur einige Monate im Krieg.

Der Rest der Familie war seit einigen Monaten in Bückeburg / Niederböhren, das liegt in der Gegend bei Minden, evakuiert.
Mutter, die 39 geboren wurde, lebte in Bückeburg mit ihrer Mutter, meiner Oma Else, und ihren drei Geschwistern. Alles Mädchen.
Sie lebten dort auf einen Bauernhof. Der Bauer mußte ihnen zwei Zimmer zu Verfügung stellen, in denen sie lebten. Anfangs gab es deswegen oft Krach und der Bauer wurde ausfällig.
Nach ein paar Wochen kehrte jedoch auch dort Frieden ein und nachdem Oma hörte, dass Opa zurück käme, machten diese vier sich wieder Richtung Recklinghausen auf.

Da das Haus noch stand, es war ein 3-Familien-Haus in der Feldstraße, machten sie sich sogleich an die nötigsten Reparaturen.
Vor allem mußten die Fenster erneuert werden. Doch dazu konnte es vorerst nicht kommen, weil Glas nicht vorhanden gewesen ist. Also wurden die Türen der Schränke ausgehangen und als Fensterläden umfunktioniert. So gings. Auch ließ sich so die Wohnung, eine anderthalb Zimmer Wohnung, Küche und Wohnzimmer, heizen.
Wichtig war es auch, dass die Wohnung wieder abgeschlossen werden konnte, weil in der Gegend und überhaupt leider sehr viel geplündert wurde. So kam es schon mal vor, dass Nachbarn, die ihre Wohnung für Besorgungen verließen, beim Wiederkommen den Keller leer vorfanden, in dem sonst die Kohlen lagerten. Auch kam immer wieder Mobiliar weg.

Weil Opa Süd, Süd deswegen weil sie in Recklinghausen Süd lebten, Bergmann gewesen ist, war es mit den Lebensmitteln nicht ganz so schlimm. Bergleute bekamen Care-Pakete aus den USA und so kam man über die Runden.
Auch gab es täglich auf der Zeche belegte Brote. Opa brachte sie jedoch mit nach Hause für die Kinder. Er selbst aß Brote mit Margarine.
Jeden Tag gab es auch ein Brötchen. Meine Mutter, das Nesthäkchen, bekam so jeden vierten Tag ein Brötchen. Jeden Tag bekam es ein anderes Kind der Familie.

Da Opa auch Kaninchen hatte und einen kleinen Garten, konnte man sich auch so ein bißchen weiterhelfen.
Opa schlachtete seine Kaninchen nicht selbst, noch aß er das Fleisch. Jedoch ging er bei anderen Leuten schlachten.
Auch hatten sie Hühner und somit auch Eier. Was schon mal ganz toll gewesen ist.
Speck und Mehl tauschten Opa und Oma bei den Bauern der Umgebung gegen Kaffee, welcher in den Care-Paketen war.

Als Mutter 1946 in die Schule kam, sie kam auf die Evangelische Grundschule, die Reitwinkel-Schule hieß, nahm sie einen Henkelmann mit, weil es in der Schule mittags etwas Warmes zu essen gab. Das war für die Großeltern schon mal eine große Erleichterung. Mutters Geschwister bekamen ebenso Schulspeisung.
Als Oma auf dem Markt, es mag 1947 gewesen sein, der Mutter eine Banane kaufte, mochte sie sie nicht essen. Es schmeckte ihr einfach nicht.

Auf den Straßen trafen sich zu dieser Zeit die Nachbarn, auch saßen sie nach Feierabend in ihren Gärten. In den Gärten hatten die meisten Bergleute ihre Laube. Oft war sie grün lackiert und aus Holz gebaut.
Dort in der Laube saßen die Bergleute auch bei schlechtem Wetter, wenn es regnete und spielten Karten. Ich meine man nannte es Stich Sieben.
Auch wurde dort im Garten, der hinter dem Innenhof des Hauses lag, gerne Schnaps und Bier getrunken. Die Schnapsflaschen stecken zum Teil noch heute als Rabatten-Begrenzungen im Boden der Beete.

Um Kleidung zu bekommen, musste man anstehen und warten können. Es gab nicht viel zum Anziehen und die meiste Kleidung war arg gebraucht. So nähte man sie sich zum Teil selbst aus eingefärbten alten Uniformen.
Mutter trug die Kleider ihrer größeren Geschwister auf. Was ihr wohl nicht viel ausmachte.
Es scheint zu dieser Zeit kaum einen Mangel an Bescheidenheit gegeben zu haben.

Da die Kinder viel an der frischen Luft waren, und ihre Eltern auch, so oft es ging, draußen saßen, waren sie wohl soweit auch gesund und kräftig. Draußen wurden viele Spiele gemacht, die heute kaum noch gespielt werden, zumindest kaum auf der Straße. Brennball, Völkerball und Seilspringen war sehr beliebt. Die Alten spielten, wie gesagt, zusammen Karten.
Urlaub wurde nie gemacht. Der Bergmann war noch bis in die 70ger Jahre sehr bodenständig.

Auch hatten einige Nachbarn, wie es bei den alten Bergleuten üblich gewesen ist, Tauben. Ein Nachbar, Herr Anton Bregant, hatte welche. Sonntags sah er immer aus seinem Fenster. Und wenn die erste Taube nach Hause kam - sie wurde vorher verschickt und an einem ihr fremden Ort freigelassen -, rannte er schnell mit der Taubenuhr zur Gaststätte Bönte. Man sagte im Ruhrgebiet, die Tauben sind die Rennpferde des kleinen Mannes.

Bei Bönte gab es nach 45 auch den ersten Fernseher. Opa und Oma hatten keinen und wollten auch bis Ende der 70ger Jahre keinen haben. In der Familie wurde am Wochenende und manchmal am Abend Radio gehört. Das muß sehr spannend gewesen sein. Denn Schalke gab es auch damals.

Als am 20.06.48 das neue Geld ausgegeben wurde, das alte war nichts mehr wert, wurde auch sonst vieles normal und das Leben ging seinen Gang.


Dies sind Erinnerungen meiner Mutter Waltraud zu der Zeit 45 und danach.
29.11.1998
Peter Brödlau, Höxter

(Eigentlich war Deine Idee mit der Homepage "45-und-danach" ganz toll. Hatte es doch bewirkt, dass ich Mutter mal wieder stundenlang etwas fragen konnte. Deshalb gilt Dir, lieber Kurt, mein herzlichster Dank.)

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