Ingolstadt, Donau 1945 Homepage BAVARIA-L bei GeoCities
Erlebnisse zum Kriegsende 1945
Flucht aus Ostpreußen

Ein Interview über das, was eine inzwischen 83-jährige Dame am Ende des 2.Weltkrieges erlebt hat. Sie ist in Königsberg in Ostpreußen aufgewachsen.


Dominik: Warum bist du geflohen?

Omi: Ich bin deshalb geflohen, weil wir die Russen schon einmal im 1.Weltkrieg in Ostpreußen erlebt hatten und wussten, was auf uns zukommt, deshalb habe ich es vorgezogen mit meinen Kindern vor den Kampfhandlungen zu fliehen.

Dominik: Mit wem bist du geflohen?

Omi: Mit meinen Kindern, 6 und 3 Jahre alt, und mein Mann, der bei der Reichsbahn war, hat uns begleitet, weil er krank war.

Dominik: Warum sind gerade die Leute aus Ostpreußen geflohen?

Omi: Erstens einmal haben die Leute schon einen Russeneinfall in 1. Weltkrieg erlebt und zweitens kamen sehr viele Flüchtlinge von der Grenze, die ganz schreckliche Dinge erzählt haben, was da passiert ist und davor wollten wir uns schützen und erstmal unsere Heimat verlassen, so lange noch Krieg ist, um später wieder zurückzukehren.

Dominik: Wann musstest du fliehen?

Omi: Wir haben sehr lange gewartet. Wir waren schon vorher evakuiert, haben aber immer noch gewartet. Der Kanonendonner rückte eben immer näher, rückte also auf, so dass wir uns ganz schnell entschlossen von Königsberg abzureisen.

Dominik: Wie hast du das Herannahen der Russen bemerkt?

Omi: Eben durch den Kanonendonner und die verstärkten Flüchtlingstrecks, die von der Grenze kamen.

Dominik: War die Flucht mit Vorbereitung oder überstürzt?

Omi: Wir haben damit gerechnet, dass wir doch einmal wegmüssen und ich hatte doch schon einiges vorbereitet, z.B. für die Kinder hab ich Rucksäcke genäht und Schilder geschrieben mit Namen und Geburtsdatum und wo wir hinwollten. Da meine Schwester schon in Aue im Erzgebirge war, hatte ich eben vor dorthin zu fahren.

Dominik: Was stand auf den Schildern drauf und warum?

Omi: Die Kinder bekamen ein Namensschild umgehängt, weil ja doch sehr viel passierte und die Kinder von den Eltern getrennt wurden und oft nicht den Namen wussten, weil sie noch klein waren. So stand Name, Geburtsdatum, Name der Eltern und unser Ziel darauf.

Dominik: Was habt ihr denn mitgenommen?

Omi: Ja, wir haben mitgenommen, was wir tragen konnten. Wir hatten einen Rucksack, einen Koffer und die beiden Kinder an der Hand. Die Kinder hatten jeder einen Rucksack und einen Brotbeutel umgehängt.

Dominik: Wie seid ihr geflohen?

Omi: Zuerst haben wir versucht mit der Eisenbahn zu fahren. Als wir zum Bahnhof in Königsberg kamen, standen dort schon kilometerlange Schlangen von Menschen, die auch alle mitwollten und wenn mein Mann nicht bei der Reichsbahn gewesen wäre, der uns zum Abstellbahnhof brachte, wären wir wahrscheinlich in keinen Zug reingekommen. Aber da die Brücke in Dirschau gesprengt wurde, ist unser Zug bloß bis Heiligenbeil gekommen, weil da schon alle Züge standen, die Ostpreußen verlassen wollten. Und so mussten wir wieder, nachdem wir über Nacht dort gewartet hatten, nach Königsberg zurück. Dort wurde angesagt, dass Güterzüge bereitstanden, die nach Pillau fahren, und dort Schiffe liegen, die die Flüchtlinge rausbringen. So entschlossen wir uns, mit den Güterzügen nach Pillau zu fahren. Der Güterzug hielt auf der Strecke noch mehrere Male, weil da schon ein paar Kilometer von Königsberg entfernt ganz heftige Kämpfe waren und die Strecke immer wieder freigekämpft werden musste.

Dominik: Warum wurde eigentlich die Brücke gesprengt?

Omi: Die Brücke wurde von den Deutschen gesprengt, weil die Russen schon von unten, von Süden kamen und die sollten eben nicht über die Brücke kommen, damit sie nicht so schnell in das deutsche Reich einfallen konnten. Und so waren wir in Ostpreußen sozusagen in einer Mausefalle, denn die Russen kamen von Osten und von Süden und auch nachher von Kurland aus und Litauen.

Dominik: Welchen Weg habt ihr eingeschlagen?

Omi: Es gelang uns dann nach Pillau zu kommen und dort wartete ich auf die Einschiffung. Mit dem ersten Schiff sind wir nicht mitgekommen. Und nur durch hartnäckiges Nachfragen ist es mir gelungen, überhaupt Karten zu bekommen für ein Schiff. Wir standen da bei Eiseskälte im Hafen, mit den Kindern und warteten. Ich sollte auf die Gustloff - Brücke kommen. Und in der ganzen Menschenmenge dachte ich: Ja, wie soll ich da hin und mit den vielen Menschen, das ist ja ganz unmöglich. Da kam ein Seeoffizier auf mich zu, nahm meine Kinder und sagte: "Kommen Sie mit mir mit, da fahren sie sicherer." Es war ein kleines Schiff, ein Minensucher, der "Isar" hieß.
Und so haben wir eine ganz gute Überfahrt gehabt. Die Matrosen waren ganz rührend um uns besorgt, sie teilten mit uns ihr Essen, ihre Rationen, wir Frauen haben Kartoffeln geschält und Gemüse geputzt und wir durften aber am Tage nicht an Deck. Wir mussten unter Deck bleiben, nur in der Nacht und bei Verdunklung mal schnell Luft schnappen. Und so sind wir dann über See gefahren, mit Geleitbooten bis Travemünde. Und da wurden wir ausgeschifft.

Dominik: Warum durftet ihr da nicht raus?

Omi: Es war zu gefährlich, der Flieger wegen, denn es wurden Schiffe beschossen und es wurde auch mit Torpedos geschossen. Die Gustloff ist untergegangen. Das Schiff wurde beschossen und durch Torpedos getroffen und ist mit vielen tausend Menschen an Bord untergegangen.

Dominik: Würdest du mir von besonderen Erlebnissen der Flucht berichten?

Omi: Ich hatte eine verhältnismäßig einfache und gute Flucht, wenn ich denke, was andere erlebt haben. Nur war überall auf allen Bahnhöfen Chaos, Kindern wurden Sachen gestohlen z.B. der lederne Schulranzen wurde ihnen gestohlen und andere Sachen. Man hatte sich auch mal verloren, wiedergefunden, aber es war überall Chaos. In Dresden war ein Angriff, der aber doch ganz glimpflich verlief. Der große Angriff war eine Woche später. Und so kamen wir dann ganz wohlbehalten in Aue bei meiner Schwester an.
Die Flüchtlinge wurden nicht sehr freudig aufgenommen. Man hat uns eben nicht gern gesehen, was vielleicht auch verständlich ist bei dem Übermaß der vielen Menschen, die von überall herkamen.

Dominik: Wieviel Leute sind ungefähr aus Ostpreußen geflohen?

Omi: Aus Ostpreußen selbst weiß ich nicht so genau. Insgesamt sagt man, es wären 2,5 Millionen Menschen geflohen und davon sind ungefähr 250.000 Menschen schon auf der Flucht gestorben. Die dann in Ostpreußen umgekommen waren, sind natürlich viel mehr.

Dominik: Wo seid ihr dann geblieben?

Omi: Zuerst sind wir geblieben in Aue im Erzgebirge, solange der Krieg dauerte. Von dort wurden wir dann ausgewiesen und mußten sehen, wo wir bleiben.

Dominik: Wie hast du den Durchzug der Amerikaner, Engländer bzw. der Franzosen erlebt?

Omi: Ja, wir waren eigentlich erleichtert, dass wir in Besatzung von Amerikanern hineingekommen sind. Erst sollte ja Aue verteidigt werden. Es wurden alle Brücken rundherum gesprengt. Und dann sind wir Frauen vors Rathaus gezogen und haben protestiert, dass Aue nicht verteidigt wird, weil ja nur Frauen, Flüchtlinge und Kinder in der Stadt waren. Es wurde aber doch um Aue rundherum geschossen, bis dann die amerikanische Besatzung gewann. Es dauerte aber nur ein paar Tage, bis die Amerikaner abzogen und dann doch die Russen kamen.

Dominik: Wie hast du das Kriegsende erfahren und erlebt, wie darauf reagiert?

Omi: Erfahren haben wir es durch den Rundfunksender und waren dann sehr sehr erleichtert, dass der Krieg zu Ende ist. Jetzt dachten wir, jetzt machen wir uns auf und kehren in unsere Heimat zurück. Und wir waren froh, dass überhaupt der Krieg zu Ende ist, denn ja auch in Aue flogen die Flugzeuge über uns, wir mussten in den Wald laufen und dann waren wir erleichtert, dass dies alles vorbei ist.

Dominik: Was war in diesem Krieg der größte Schlag für dich?

Omi: Im Krieg war wohl das Schlimmste die Luftangriffe auf Königsberg, das war sehr schlimm für uns.

Dominik: Und nach dem Krieg?

Omi: Nach dem Krieg, das war obwohl wir es vorhatten und es unser größter Wunsch war, dass wir nicht in unsere Heimat zurück konnten. Wir wurden nirgends gern gesehen. Überall mussten wir weg. Wir bekamen keine Zuzugsgenehmigung. Wir bekamen keine Lebensmittelkarten. Wir mussten im Flüchtlingslager bleiben und da ging es uns schlechter als im Krieg.

Dominik: Warum konntet ihr nicht zurück?

Omi: Die Russen ließen erstens keinen rein, zweitens war Königsberg durch die Angriffe schon kaputt und was dann noch stehen geblieben war, war dann durch die schweren Kämpfe kaputt. Und meine Eltern, die dageblieben waren, die haben jeden Tag gebetet, dass wir nicht zurückkommen. Denn da herrschte Typhus und Hunger und Terror. Menschen wurden verschleppt in Lager und mussten arbeiten. Kinder, die ihre Eltern nicht wieder fanden, kamen in Waisenhäuser. Also, es war das Furchtbarste, was man sich denken konnte, und da war es eigentlich gut, dass wir erst mal nicht zurück konnten.

Dominik: Wie konnten diese Seuchen eigentlich ausbrechen?

Omi: Weil überall Leichen rumlagen und die Keime sich verbreiten konnten und weil alles kaputt war. Wasserleitungen, Abwasserleitungen waren kaputt. Und die Menschen waren kraftlos, die hatten nichts zu essen und da hat einer den anderen angesteckt. Wie schon gesagt, vor allem Typhus hatte gewütet.

Dominik: Wie hast du denn ein neues Leben aufbauen können?

Omi: Wir haben dann erfahren, dass meine Schwester in Blexen war. Und haben uns darum bemüht, da wir hier in Aue ausgewiesen wurden, Blexen zu erreichen. Auf Umwegen, die ein dreiviertel Jahr dauerten, sind wir dann im Dezember in Blexen angekommen. Hier haben wir dann ein Zimmer gehabt, im Organistenhaus, wo meine Schwester wohnte. Danach habe ich dann die Organistenstelle übernommen und wir konnten weiter in dem Haus wohnen.Und so haben wir allmählich ein neues Leben aufgebaut, wenn es auch sehr, sehr schwer war, denn wir hatten ja praktisch gar nichts mehr, wir mussten ganz von vorne anfangen. Aber wir waren dann doch sehr glücklich, dass wir, wenigstens ein Teil der Familie zusammen war. Was mit meinen Eltern und meinem Schwiegervater war, wussten wir nicht, da sie in Ostpreußen geblieben waren. Das hatte dann erst Monate gedauert, bis wir dann endlich ein Lebenszeichen von ihnen bekamen.

Dominik: Ich habe gehört, dass du dann nach München gezogen bist und dann nach Scheyern, wie ist es dann weitergegangen?

Omi: Mein Mann bekam in München eine Stelle beim Zentralamt, weil er ja bei der Reichsbahn war und erst dann nach einigen Jahren kam die Familie wieder in München zusammen, und dann waren wir sehr glücklich, dass wir alle wieder beisammen waren, und haben dann erst begonnen, unser Leben neu aufzubauen und waren sehr zufrieden. Und als mein Mann dann starb und mein Sohn hier in Scheyern ein Haus gebaut hat, zog ich dann hierher. Und ich muss sagen, ich habe hier einen sehr schönen Lebensabend.

Dominik: Ich bedanke mich herzlichst!


Nachricht hinterlassen: Kurt Scheuerer, Ingolstadt
Zur Hauptauswahl
Zur Homepage Kurt Scheuerer in Bayern