Christbaumkugeln 1997. Foto: Kurt Scheuerer Homepage BAVARIA-L bei GeoCities
Weihnachts-Bräuche
in der Oberpfalz um 1910


Weihnachten - in diesen frühen Kinderjahren - wurde von unserer lieben Mutter stets besonders feierlich and frölich gestaltet. "Stille Nacht, Heilige Nacht" war das erste Lied, das wir Kinder zu singen lernten; dann "O Tannenbaum". Es ist unserer Mutter zu verdanken, dass ihre Kinder deren ganzes Leben diese schönen, tiefen, glückseligen Eindrücke im Herzen behielten und den Nachkommen übergaben.

Die Feststimmung fing eigentlich schon am 6. Dezember mit dem Nikolaustag an. Bereits am Nachmittag des Tages machte man sich gegenseitig Angst - vor dem Besucher, da keiner von uns ein reines Gewissen hatte, denn das Gute sollte belohnt und das Böse bestraft werden.

Kam die Dunkelheit, da war die Straße leer von Kindern. Die hockten alle daheim und warteten auf die Dinge, die da kommen würden. Plötzlich rief jemand "jetzt kommt er" und gleich drauf klirrte eine eiserne Kette gegen die Tür. Die ganz Kleinen fingen zu schreien an. Sogar den Älteren wurde es bange ums Herz! Dann ging die Türe auf und der NIKOLAUS war da - mit weissen Bart und Haaren aus Flachs, der fast das ganze Gesicht verhüllte. In der einen Hand trug er eine Kette und ein Bündel Weidenruten. In der anderen einen Sack mit Äpfeln, Nüsen, usw., und er fragte die Eltern, welche von den Kindern brav oder bös waren. Dafür gabs entweder was vom Sack oder einige Hiebe mit den Ruten, wo es am besten gut tat. Ehe er uns verließ, hatte er uns alle auf den Knieen, mit Versprechen, in der Zukunft Mama und Papa zu folgen. Das war der Vorgeschmack und Auftackt zum Weihnachtsfest.

S Christkindl hat der Mutter ihre Schuh an! F. S. Lindner
Mutter war wochenlang vor dem Fest mit Zuckerstückl- und Stollenbacken beschäftigt. Das Zimmer, in welchem die Bescherung stattfand, wurde zugesperrt. Sogar das Schlüsselloch wurde verklebt. Die Neugierde brachte uns um und wir wurden die reinsten kleinen Heiligen im Betragen, was wohl Mutter und das Christkindl in dem Zimmer für geheimnisvolle Tätigkeiten hatten. Es war fast unerträglich.
Wir wurden ermuntert, einen Wunschbrief ans Christkindl zu schreiben und selben außen ans Fensterbrett zu legen, damits Christkindl selben abholen konnte in der Nacht. Nächsten Morgen waren die Briefe wirklich verschwunden.
Mutter brachte es immer fertig, dass wir uns in den Briefen wünschten, was sie uns zu wünschen haben wollte.

Endlich kam der grosse Tag. Nachmittag wurden wir zu Grossmutters Haus geschickt, zusammen mit den drei Kindern von Mutters Schwester M----. Oben im zweiten Stock befand sich ein ganz breites altmodisches Doppelbett mit einem dicken Strohsack. Wir mussten die Schuhe ausziehen und ohne Joppe ins Bett gehen und brav sein, "sonst gibts was!" Diese drei bis vier Stunden waren Ewigkeiten und wollten einfach kein Ende nehmen. Es war finster geworden und alle waren vor lauter Aufregung eingeschlafen. Da weckte uns die Großmutter.

Wir durften aufstehen. Fieberig zogen wir unsere Schuhe an. Schnell noch Abendessen: Einbrennsuppe - Tasse Malzkaffee mit Hutzelbrot. Dann gings los - die Bahnhofstrasse über - den Markt hinunter. Viele Fenster in den Häusern waren hell beleuchtet. Man hörte Kinder singen - Trompeten blasen. Man konnte Teile der Christkindlbäume sehen, beleuchtet mit Wachskerzchen aller Farben.

Schließlich erreichten wir unser eigenes Haus. Vater und Mutter standen in der Türe und riefen uns zu, dass das Christkindl gekommen sei. Die Türe zum Weihnachtszimmer stand offen. In dessen Ecke prangte ein riesiger Baum voller Schmuck und natürlich mit vielen brennenden Kerzchen. An der einen Seite der Wand entlang waren die Weihnachtsgeschenke auf zusammengeschobenen Tischen ausgelegt. Jedes hatte seinen eigenen Platz - dem Alter nach. Da gabs Kaufläden, Ritterburgen mit Soldaten und Kanonen, Puppenzimmer, Spiele, Schalen voller Früchte, Nüsse, Zuckerstückl, usw. Genug für jedes und aller Herzen waren momentan restlos zufrieden.

Ich glaube, die grösste Zufriedenheit für Mutter war, als Belohnung für all die Mühe und Arbeit, die sie sich auferlegte, ihre Familie so voll Freude und Glück zu sehen. Sie hatte ein unfehlbares System in Spielsachen. Jedes Weihnachten schaffte sie ein neues Hauptstück an, welches immer zum ältesten Bruder S---- gegeben wurde. Der Nächste erhielt, was er ein Jahr zuvor hatte. Dessen letztjähriges Geschenk ging zum Nächsten nach ihm und so weiter. Jedes war zufrieden mit dieser Anordnung. Alles wurde zwei Wochen nach Weihnachten vom Christkindl übernacht weggeholt und verpackt fürs folgende Weihnachten.

Copyright 1999; Fritz Simon Lindner (1899-1969)
Edited: Mary Ann Lindner Allen

Nachricht hinterlassen: Kurt Scheuerer, Ingolstadt
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