Stille - Zen - Zen-Geplapper
Alle Dinge belehren dich in jedem Moment,
und Geräusche sind sogar bessere Lehrer als Zen-Bücher.
Seung Sahn
Schon immer haben sich Menschen in die Stille zurückgezogen, wenn für sie wichtige Entscheidungen anstanden - Zeit zum Reifen, Zeit zur Klarsicht. Der weise Krieger stürmt nicht einfach los. Schauen Sie sich zuerst Ihre Situation an - können Sie Ihren Weg sehen?
Als dem junge indischen Königssohn Siddhartha Gautama, der später zum Buddha, zum Erwachten, wurde, Leid, Krankheit und Tod bewußt wurden, zog er aus dem Königspalast in die Wildnis, um eine Antwort auf das Warum? zu finden. Es war nicht der Weg des den Körper verleugnenden Asketen, der ihn zum Erwachten, zum Buddha, werden ließ, es war das einfache Sitzen in Stille unter dem Bodhi-Baum. Als Jesus aus Nazareth erfuhr, dass ihm eine seit Generationen verheissene Aufgabe zukommt, war er so aus der bahn geworfen, dass er sich erst für vierzig Tage in die Wüste begab. Als ihm immer klarer wurde, dass seine Anwesenheit in Jerusalem mit dem Tod enden würde, zog er sich alleine in den Garten Gethsemane zurück.
Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre Entscheidungen in Ruhe zu fällen. Sie müssen dafür nicht unbedingt in die Wüste, auch nicht in ein abgeschiedenes Kloster. Es gibt andere Möglichkeiten, die Stille wieder zu entdecken, verschiedene meditative Formen, die alle darauf abzielen, eine Hilfe zu sein. Hilfe wofür?
Meditation, um den "Weg zur Gesundheit" einzuschlagen? Um eine "größere Leistungsfähigkeit im Alltag" zu erlangen. Oder um die "vorhandenen Ressourcen zur Heilung und Selbstheilung zu mobilisieren?" Vielleicht, um das Immunsystem zu aktivieren, dessen Aufgabe es ja ist, Krankheitserreger und Tumorwachstum abzuwehren? Um einmal zur Ruhe, ins Gleichgewicht zu kommen? Um endlich aufatmen zu können? Um einfach nur präsent zu sein?
Es gibt sicherlich viele Gründe. Sie alle sind gut und können sinnvoll sein. Was Ihnen gut tut, ist richtig für Sie. Probieren Sie es aus - in Ruhe. Es sind Ihre Schritte, die sie weiterbringen. Nur, wohin?
Zen
Zen (Skrt.: Dhyana: chin.: Ch'an; kor.: Seon) bezeichnen die meditative Sammlung des Geistes und geht auf Bodhidharma (470-543 n.Chr.) zurück, der die indische Form des Buddhismus ca. 1000 Jahre nachdem der historische Shakyamuni Buddha (Siddhartha Gautama, 563-483 v.Chr.) in Indien lebte, nach China brachte. Hier verband sie sich mit Elementen des Taoismus, einer Religionsrichtung, die auf den chinesischen Philosophen Lao-Tse (604-531 v.Chr.) zurückgeht, zu einer eigenständigen "Schule".
Die Legende erzählt, dass sich Bodhidharma nach seinem erfolglosen Versuch, seine Lehre im Süden Chinas zu verbreiten, in das Shao-lin-Kloster im Norden Chinas zurückzog und dort neun Jahre "der Wand gegenüber sitzend" in schweigender Versenkung verbrachte. In dieser Körperhaltung soll auch der historische Buddha zum "Erwachten" geworden sein. Das Sitzen mit gekreuzten Beinen ist jedoch nur die äußere Form des Zen; wenn man seine egoistischen Vorstellungen ablegt, kann das "Zen-Bewußtsein" in Erscheinung treten.
Im Gegensatz zu den Entspannungsübungen oder Visualisierungstechniken ist die Zen-Meditation (Zazen), die Praxis der hellwachen Präsenz im konkreten Augenblick, ein spiritueller Weg. Absichtslos im Hier und Jetzt. Alles so wahrnehmend, wie es ist, wie die Kiefer, auf die es regnet. Dank für das Lachen und für das Weinen. Schauen, ob es regnet oder stürmt. Das ist die Erfahrung des "Erwachens". Ohne interpretierendes und wertendes Denken ist man eins mit der Handlung, dann ist man der Tee, den man trinkst, der Pinsel, mit dem man malt, wie es der koreanische Zen-Meister Seung Sahn einmal ausdrückte.
Den Zen-Weg kann jeder gehen, egal welcher Rasse, Nationalität, Geschlecht oder Religions-Tradition er oder sie angehört. Es wird nichts vorausgesetzt, es muß nichts geglaubt werden. Zazen ist ein Weg der spirituellen Praxis, nicht des Glaubens. Auch wenn die meisten Zen-Übenden sicherlich Buddhisten sind, so gibt es doch auch viele Christen, die den Zen-Weg gehen; - und ihren Glauben ganz neu entdeckt haben. Aber jeder muß seinen eigenen Weg finden, nicht in Büchern, sondern im Leben, so wie es gerade ist.
Es wird überliefert, dass der Buddha Shakyamuni von seinen Anhängern um einen Vortrag zu seiner Lehre gebeten wurde. Da saßen nun 2.000 Menschen und wollten etwas Bedeutsames hören, das ihr Leben verändern würde. Der Buddha ergriff schweigend eine Lotusblüte und drehte sie in seiner Hand. Nur sein Schüler Kashyapa begriff und lächelte. Er hatte das Wesen der "Buddha-Lehre" intuitiv erfaßt.
Die alten Zen-Meister und auch die christlichen Mystiker haben sich immer gegen die Alltagssprache als Mittel der Überlieferung gesträubt. "Sprache vermittelt nicht den Geist", wie Mumon Ekai (1183-1260) sagte. Die Wahrheit kann nur in der eigenen Meditations-Praxis erfaßt werden. Chen-ching K´e-wen (1024-1102 n.Chr.) mahnte: "Im Zen ist Erfahrung alles. Was nicht auf eigener Erfahrung beruht, steht außerhalb von Zen. Die Zen-Schulung muß daher aus dem Leben selbst erwachsen, und Satori, die Erleuchtungserfahrung, das Erwachen, der Durchbruch, muß bis zum Grund gehen." Aus dem Leben heraus. Eben dort, wo jeder gerade steht.
Das Wesentliche ist nicht das "Zen-Geplapper", das zu der Annahme verführen kann, in den Worten und Ausdrücken seien wunderbare Dinge enthalten, ein tiefes Geheimnis, das nur gelesen werden braucht, um es zu "haben". Zazen ist Praxis, nüchternes "selber tun". Hier und Jetzt. In jedem Augenblick hellwach. Ob beim Meditieren oder beim Spülen. Ohne Geheimnis. Übungs-Praxis und Erwachen sind nach Dogen Zenji (1200-1253) eine Einheit; ohne Übungs-Praxis kein Erwachen.
Lung T´an lebte jahrelang mit seinem Meister T´ien Huang zusammen, ohne von ihm das Geheimnis des Zen zu erfahren. Eines Tages konnte er nicht länger schweigen: "Meister, ich bin nun schon jahrelang bei dir, aber du hast mir noch nie etwas beigebracht. Ich bitte dich, laß mir mehr Mitleid zuteil werden." T´ien Huang sagte: "Ich habe dir immer die Geheimnisse des Zen weitergegeben, vom Tag deines Eintritts ins Kloster an. Wenn du mir mein Essen bringst, bedanke ich mich bei dir; wenn du dich vor mir verbeugst, neige auch ich den Kopf. Wie kannst du da sagen, ich hätte dir nicht das Wesen des Zen beigebracht?"
Vielleicht sind Sie anfangs etwas verunsichert, weil Sie meinen, man müsse doch etwas erreichen, etwas erlangen. Vielleicht einen höheren Bewußtseinszustand, Erleuchtung, Heilung und Gesundheit. Klammern Sie sich nicht an Ihre Erwartungen, kommen Sie zuerst zu sich zurück. Vielleicht erfüllen sich Ihre Hoffnungen, vielleicht nicht. Machen Sie sich bitte nicht den Vorwurf, versagt zu haben.
Probieren Sie aus, was Ihnen zulächelt. Vielleicht sind es nur einzelne Sätze oder Worte, die Sie ansprechen; nehmen Sie sie mit in Ihren Alltag, wie ein Mantra oder Gebet - vielleicht öffnet es zur rechten Zeit seine Blüten.
Machen Sie den ersten Schritt...
©
Arndt Büssing (2002)