Gedichte

Erleuchtung - Kommen und Gehen - Nur ein Augenblick - Heiku

 

Erleuchtung

 

Ich bin Mönch geworden

und erlangte Erleuchtung.

So sind also alle Dinge nichts.

Aber es ist wirklich kalt hier

In dieser verschneiten Nacht.

Shinjai

Wenn die ganze Welt

Von der Seele abfällt,

dann kommt die Seele zur Ruhe.

Meister Eckhart

 

 

Herbstblätter fallen im kalten Wind.

Liegt hierin ein richtig oder falsch?

Hier ist eine heilige Schrift, die nicht aus Papier gemacht ist

Und keine Worte enthält.

Dennoch strahlen seine Seiten ständig Licht aus,

dass die Dunkelheit erhellt.

Und jedes Ding wird klar, so wie es ist:

Berg ist Berg; Fluß ist Fluß;

Rot kommt: rot;

Weiß kommt: weiß.

Seung Sahn

Dein Wahres Selbst ist immer

strahlend und hell.

Menschen machen etwas

Und schon sind sie im Meer des Leidens.

Nur ohne Denken

Kannst du zu deinem Wahren Selbst zurückfinden.

Der hohe Berg ist immer blau.

Weiße Wolken kommen, gehen.

Seung Sahn

 

 

 

Draußen stehen und zugleich drinnen,

ergreifen und umgriffen werden,

schauen und das Geschaute selbst sein, halten und gehalten werden:

das ist das Ziel.

Dort verharrt der Geist in Ruhe

Und ist eins mit der Ewigkeit.

Meister Eckhart

Ý

Kommen und Gehen

 

Mit leeren Händen habe ich die Welt betreten,

baren Fußes verlasse ich sie.

Mein Kommen, mein Gehen -

zwei einfache Ereignisse,

die sich verwoben haben.

Kozan Ichikyo

Alles in Allem

Das Haus wird gebaut, es wird abgerissen.

Die Sonne vertreibt den Nebel, der über den Feldern hängt.

Wir kommen und gehen.

Wohin?

Arndt Büssing

 

 

Reise

Hier stehen Worte geschrieben -

Fußspuren im Sand,

Wolkengebilde.

Morgen

Werde ich fort sein.

Thich Hat Hanh

Des Wasservogels

Wegflug und Wiederkehr,

ohne Spur sind sie -

Jedoch seines Weges Bahn,

könnt er sie je vergessen?

Dogen

 

 

Dieses, unser Leben,

wem kann ich es vergleichen?

Dem Spiegelbild

Des Mondes in einem Tropfen Tau

Glitzernd am Schnabel der Wildente.

Dogen

 

 

 

Alles hat eine Stunde.

Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:

Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben,

eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ernten,

eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen,

eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Aufbauen,

eine Zeit zum Weinen und für die Klage und eine Zeit für den Tanz,

eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ernten,

eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln,

eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,

eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren,

eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,

eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen,

eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,

eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen,

eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.

Kohelet 3

Der Weg des Menschen

Mit leeren Händen kommend, mit leeren Händen gehend, - das ist der Mensch.

Wenn Du geboren wirst, woher kommst Du?

Wenn Du stirbst, wohin gehst Du?

Das Leben ist wie eine vorbeiziehende Wolke, die erscheint.

Der Tod ist wie eine vorbeiziehende Wolke, die wieder verschwindet.

Die sich treibenlassende Wolke selbst existiert ursprünglich nicht.

Leben und Sterben, Kommen und Gehen sind genauso.

Aber das ist etwas, das immer rein bleiben wird.

Es ist rein und klar, nicht abhängig von Leben und Tod.

Was ist also dieses Reine und Klare?

Seung Sahn

Ý

Nur ein Augenblick

 

Tausend Gipfel bedeckt mit Schnee und Eis,

Zehntausend Gebirgspfade, doch kein Zeichen menschlicher Wesen.

Jeden Tag - nur Zazen;

Manchmal der Klang des Schnees, wie er gegen das Fenster weht.

Daigu Ryokan

Grüne Berge vorn und hinten,

Weiße Wolken Ost und West.

Selbst wenn ich einen Mitwanderer träfe,

Nichts Neues könnte ich ihm sagen.

Daigu Ryokan

 

 

Wenn ich das Wasser schöpfe,

ist der Mond in meiner Hand.

Wenn ich eine Blume pflücke,

ist mein Gewand voller Duft.

unbekannt

Wenn Du das Wesentliche

Meiner Lehre wissen willst,

dann beobachte den See draußen

vor dem Tempeltor:

Wenn die Sonne scheint,

wie strahlend spiegelt sie sich!

Wenn der Wind aufkommt,

wie schäumen da die Wellen!

Eimgo Enju

 

 

Im Hof liegen rings noch

die abgefallenen Nadeln

der alten Kiefer.

Kein Staub ist aufgewühlt,

und still ist mein Herz

Rikyus

Der Wind in den

Zweigen

Regen auf der Haut

Ein Blatt

Eine Verneigung

in Dankbarkeit

Arndt Büssing

 

 

Der Berg ist still,

das Wasser fließt,

der Mond scheint,

die Blume blüht.

Um Mitternacht erfüllt ein angenehmer Duft die Welt.

Eine gute Zeit, Tee zu trinken.

Kyong Bong

Nicht viel, um es dir anzubieten -

nur eine Lotusblüte, schwimmend

In einem kleinen Gefäß mit Wasser.

Daigu Ryokan

 

 

Auf der Tempelglocke

Ließ er sich nieder und schläft -

Oh, dieser Schmetterling!

Buson

Ich bin angekommen

Ich bin zu Hause

Meine Bestimmung liegt in jedem Schritt

In Frieden und Freiheit

Thich Nhat Hanh

Ý

 

Quellen:

Ryokan: Eine Schale, ein Gewand. Zen-Gedichte. Werner Kristkeitz-Verlag (1999)

Pfad der Erleuchtung. Zen-Gedichte. Wilhelm Heyne-Verlag (1989)

Thich Nhat Hanh: Nenne mich bei meinem wahren Namen. Theseus-Verlag (1997)

Japanes Death Poems. Charles E. Tuttle Publishers (1986)

Seung Sahn: Bone of Space. Primary Point Press (1992)

Meister Eckhart: Wo Gott keinen Namen hat. Kösel-Verlag (1993)

Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung. Deutsche Bibelgesellschaft (1981)

Arndt Büssing: Regen auf den Kiefern. Johannes M. mayer Verlag (2001)

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