Kinhin - Meditation im Gehen

Einführung - Eine Einladung

Im Hof liegen rings noch

die abgefallenen Nadeln

der alten Kiefer.

Kein Staub ist aufgewühlt,

und still ist mein Herz

Rikyus

Einführung

Es kann eine schöne Erfahrung sein, sich mit seinem Sitzkissen in einen alten Park oder in einen schönen Garten zu setzen. Sie werden ruhig und entspannen sich. Die Vögel empfinden Sie nach einiger Zeit nicht mehr als Störenfried, fliegen ganz nah her und gehen ihrem Geschäft nach. Sie gehören dazu, ob mit oder ohne Tumor. Kein Unterschied. Eine unreife Kirsche fällt vom Baum, direkt vor Ihre Füße. Kein Wink des Schicksals. Eben nur so.

Es mag aber Zeiten geben, dass sich keine Gelegenheit ergibt, sich auf seinem Kissen niederzulassen, obwohl es gerade jetzt nötig wäre, sich zu sammeln, zur Ruhe zu kommen. Vielleicht, weil wichtige Entscheidungen oder Begegnungen anstehen. Oder weil es Ihnen zur Zeit nicht so gut möglich ist, sich entspannt hinzusetzen, vielleicht aber auch, weil Ihnen immerzu die Beine einschlafen. Versuchen Sie die gleiche Sammlung wie in Zazen, dem absichtslosen Sitzen, im Kinhin, die Meditation im Gehen zu verwirklichen. Ob Sie in einem geschlossenen Zimmer oder in einem offenen Park üben wollen, ist Ihnen überlassen. Lassen Sie sich leiten von Ihrem Gespür für die richtige Umgebung und den richtigen Moment. Jeder Weg kann der richtige sein.

Eine Einladung

Stellen Sie sich aufrecht hin, den Rücken gut durchgestreckt, die Schultern hängen locker, das Kinn ist leicht nach hinten gezogen. Ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Richten Sie Ihren Blick etwa zwei Meter vor sich auf den Boden, entspannt, ohne etwas zu fixieren.

Umschließen Sie mit ihrer linken Hand den linken Daumen. Legen Sie nun ihre rechte Hand flach auf die linke, so dass die Finger der rechten wie ein Gewölbe auf den Fingern der linken Hand zu liegen kommen. Das rechte Handgelenk ist hierbei etwas angewinkelt und übt einen leichten Druck auf die linke Faust aus. Die Knöchel beider Hände schauen nach oben. Der rechte Daumen drückt mit der Spitze in die Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Faust. Nehmen Sie beide Hände so vor den Brustkorb, dass die Unterarme parallel zum Boden sind und der Daumenknochen der rechten Hand in die Mulde direkt unter der Spitze des Schwertfortsatzes des Brustbeines (Xiphoideus) drückt. Diese Stelle wird in China Jiuwei ("Taubenschwanz") genannt und entspricht dem gleichnamigen Akupunkturpunkt Ren 15, einem wichtigen Punkt zur Beruhigung des Geistes bei Angst, Sorge und Aufregung, und liegt unterhalb des sogenannten Herz-Chakras (Skrt: Anahata-Chakra), einem "Zentrum", das im tibetischen Buddhismus als Sitz unseres "Wahren Selbst" angesehen wird. Die beim Kinhin gedrückte Stelle entspricht dem Manipura-Chakra, dem Zentrum aller Empfindungen, Gefühle und Emotionen, aber auch der Lebenskraft und des Willens.

Atmen Sie langsam und mit Bedacht ein. Sie spüren, wie sich der Brustkorb dehnt und sich die Lungen mit Luft füllen. Der Atem "nährt" den ganzen Körper. Mit dem Einatmen setzen Sie Ihren Fuß eine halbe Fußlänge vor dem anderen Fuß auf. Der Ballen drückt gut auf den Boden. Der hintere Fuß ist locker und entspannt; die Ferse bleibt auf dem Boden. Mit dem Ausströmenlassen der Atemluft steigern Sie nun langsam den Druck der linken Hand auf den umschlossenen Daumen und den Druck der rechten Daumenwurzel auf die Brust. Das Gewicht des Körpers liegt auf dem vorne stehende Fuß, der kräftig auf den Boden drückt. Am Ende der Ausatmung löst sich die Spannung des Körpers wieder und mit dem nächsten Atemzug erfolgt der nächsten Schritt.

Zwingen Sie bitte nicht Ihren Atem, lassen Sie ihm seine eigene Zeit. Sie haben kein Ziel, dass Sie erreichen müssen: Sie atmen ein und machen einen Schritt, sie atmen aus und spüren die Spannung der Hände. Sie müssen nirgendwo hin, - Sie haben alle Zeit der Welt. Mit jedem Schritt sind Sie schon angekommen. Sie atmen ein, sie atmen aus - Schritt für Schritt mitten im Leben. Lassen Sie alle Gedanken ziehen: In Indien gibt es weder Berge noch Chakren.

Einatmen - ausatmen. Rechter Fuß - linker Fuß. Anspannung - Entspannung. Innen - Außen. Das Getrennte wird zusammengefügt in einer fließenden Bewegung. Wenn es draußen regnet, werden Sie naß. Einatmen - ausatmen. Der Wind zieht durch die Blätter. Rechter Fuß - linker Fuß. Dieser Moment gehört Ihnen, - ganz. Ein Lächeln.

Der Wind in den

Zweigen

Regen auf der Haut

Ein Blatt

Eine Verneigung

in Dankbarkeit

© Arndt Büssing (2002)