Akademisches - Arbeiten an einem Koan
Jojus Hund - Wasche deine Schüsseln - Bringe diesen Klang her - Jesus Christus - Warum bringst du mir Tee? - Die Bedeutung des Augenblicks - Dem goldenen Wind ausgesetzter Körper - Yunyan fegt den Fussboden - John Cages Beulen- Ich weiss es nicht
Koans (wörtl. "öffentlicher Aushang") wurden im Zen seit der Mitte des 10. Jh. als "geeignete Mittel" systematisch zur Schulung eingesetzt. Sie sind scheinbar sinnlose, auf intellektueller Ebene nicht lösbare überlieferte Gespräche oder Begebenheiten ("Fälle"), die das Denken des Schülers ad absurdum führen sollen. Der Zugang erfolgt nur auf intuitiver Ebene. Wortlos. Im Hier und Jetzt. Ihre Aufgabe ist es, den Geist des Übenden zur Satori-Erfahrung, dem "Erwachen", zu erwecken.
Shuzan Osho hielt einen Stock vor seinen Schülern hoch und sagte: "Mönche! Wenn ihr dies einen Stock nennt, verbergt ihr die Wirklichkeit; wenn ihr sagt, es sei kein Stock, leugnet ihr die Tatsache. Sagt mir, Mönche, wie wollt ihr es nennen?"
Die Sprache als "Instrument zur Alltagsbewältigung" ist letztlich nicht geeignet, die über das Alltägliche hinausgehende "Wahrheit" auszudrücken. Worte nähern sich nur an, so wie ein See nur das Mondlicht reflektiert. Ekeis Vers zum 37 Koan des Mumonkan drückt dies anschaulich aus: "Worte können Dinge nicht ausdrücken, / Sprache vermittelt nicht den Geist. / Auf den Wogen der Worte ist man verloren; / blockiert von Sätzen ist man verwirrt. "Worte sind nur das Fahrzeug, das die Wahrheit trägt", meint Engo (1063-1135), "Die Wahrheit ist jenseits aller Beschreibung, doch durch die Worte nimmt sie Gestalt an."
Ta-hui schrieb: "Es gibt zwei Arten des Irrtums, dass unter Zen-Anhängern und Laien gleichermaßen verbreitet sind. Der eine beinhaltet, dass in Worten und Ausdrücken wunderbare Dinge enthalten seien. (...) Der andere geht ins andere Extrem und vergißt, dass Worte "der deutende Finger" sind, der uns zeigt, wo wir den Mond zu suchen haben. (...) Aber man darf auch nicht der Anschau verfallen, alle Worte seien gleichermaßen zu verwerfen; darin nämlich übersehen wir, dass sie die Wahrheit vermitteln, wenn sie recht verstanden werden."
Die ersten Zen-Meister hielten sich im Wesentlichen an den Grundsatz, Wort und Schrift in der Weitergabe der Lehre möglichst zu vermeiden. Die Sprache, die sie im Umgang mit Schülern gebrauchten, waren jedoch nicht alltäglich, sie sollten in ihrer Ungewohntheit verwirren und von den Schemata der üblichen Gedankenfolge ablenken, befreien; denn um zum "Buddha-Wesen" vorzudringen, erforderte es nach ihrer Meinung einen geistigen Vorgang, der mit dem Alltagsverstand nicht bewältigt werden konnte.
Da der Intellekt auf die Unterscheidung von Subjekt und Objekt aus ist, soll er abgeschnitten werden, erst dann soll sich das Zen-Bewußtsein entfalten können. Das Mittel hierzu ist das Koan, - da ist keine Platz für intellektuelle Interpretationen, der Verstand wird "sprachlos".
An einem Koan zu arbeiten, heißt, an uns selbst zu arbeiten. Es soll unser eigenes "Dilemma" offenlegen und so die ureigene Antwort hervorbringen helfen. Arne Schaefer, Senior Dharma-Lehrer der
Kwan Um Zen Schule Deutschland, schrieb hierzu: "Bei der Suche nach Antworten auf unsere Fragen im Leben haben wir oft den Wunsch, schnell eine endgültige Antwort zu finden. Ebenso schnell erliegen wir den Selbsttäuschungen, etwas erlangt zu haben. Dies entspringt unserem tiefen Wunsch, etwas erreichen zu wollen - doch das ist leider auch unser größtes Hindernis. Es erscheint uns als so selbstverständlich, dass es was zu erreichen gäbe, wir kämen nie auf die Idee, genau dieses Prinzip zu hinterfragen. Das Kong-an fordert von uns, diese Illusion aufzugeben und zu unserem ursprünglichen Geist zurückzukehren. Dieser ursprüngliche Geist liegt vor unserem Denken. Aus ihm entspringt Klarheit, Weisheit und Güte. Die Praxis des Zen und das Üben mit dem Kong-an dient nur dazu, den rechten Weg zu finden."Um ein Koan wirklich zu erfassen, ist das "Erwachen" essentiell. Erst aus diesem Satori-Erlebnis heraus kann der Schüler dem Meister seine eigene Lösung spontan und ohne Rückgriff auf Hörensagen demonstrieren.
Eine anderer Ansatz mit Koans und Zen-Anekdoten umzugehen wäre es, sich ganz ohne einen Zen-Meister auf die Geschichte einzulassen, zu sehen was sie in uns zum Klingen bringt. Was hat sie mit mir zu tun? Über was ärgere ich mich - warum?
(Tor 1 von Seung Sahns "Twelve Gates")FALL
Ein Mönch fragte Jo Ju, "
Hat ein Hund Buddha-Natur?" - Jo Ju antwortete: "Mu!" (Nein)FRAGEN
1. Buddha hat gesagt, dass alles Buddha-Natur habe. Jo Ju sagte, dass ein Hund keine Buddha-Natur habe. Was stimmt denn nun? 2. Jo Ju said, "Mu!" Was bedeutet das? 3. Ich frage dich also: Hat ein Hund Buddha-Natur?
KOMMENTAR
Schweigen ist besser als Heiligkeit. Wenn du also jetzt deinen Mund aufmachst, begehst du schon einen Fehler. Wenn du aber diesen Fehler benutzen kannst, um alle Lebewesen zu erretten, dann ist das Zen.
(Tor 2 von Seung Sahns "Twelve Gates")FALL
Ein Mönch fragte einmal JoJu: "Ich bin gerade ins Kloster gekommen. Bitte unterweise mich, Meister." JoJu sagte: "Hast du schon gefrühstückt?" "Ja", erwiderte der Mönch. "Dann", sagte JoJu, "wasche deine Schüsseln aus." Der Mönch erlangte Erleuchtung.
FRAGEN
Das Kong-an des zweiten Tores ist ein "einfach genauso"-Kong-an. Was hat der Mönch erlangt? Wenn du diesen Punkt erreichst, verstehst du Augenblick um Augenblick die richtige Situation, richtige Funktion, richtiges Verhältnis. Dieser Mönch erlangte seine rechte Situation.
(Fall 15 aus Seung Sahns "The Whole World is a Single Flower ")FALL
Viele Schüler besuchten Zen-Meister Kyong Bong im Absolute Bliss Zen Center im Tempel Tong Do Sah. Nachdem sie sich vor ihm verbeugt hatten, fragte er sie: "Wie geht’s euch?" Ein Schüler antwortete, "Gut, und Ihnen?" Kyong Bong sagte "Gib mir Deine Hand." Dann hielt er die Hand des Schülers, Handfläche nach oben, klatschte sie und sagte, "Fange diesen Klang ein und bringe ihn mir."
FRAGEN
1. Wenn Du der Schüler wärst, wie könntest Du diesen Klang einfangen und ihn dem Zen-Meister bringen? 2. Im Hua Yen Sutra heißt es: "Alle Dinge sind nur durch den Geist geschaffen." Ist dieser Klang dann auch nur durch den Geist geschaffen?
KOMMENTAR: Der Frühlingswind bringt Blumen, der Sommerwind bringt Regen, der Herbstwind bringt Früchte, und der Winterwind bringt Schnee. Wenn du willst, dass der Klang dein wird, dann können dir Worte und Sprache nicht helfen. Wenn du an Sprache und Worten festhältst, ist das bereits ein großer Fehler.
(Fall 69 aus Seung Sahns "The Whole World is a Single Flower ")GEDICHT
Wie wunderbar von Jesus Christus / Du sprichst und Predigen verfasst, / Solange er nicht lebt in Dir / Ist er jenseits von dem was Du erfasst.
(Johannes Scheffler, 1624-1677, deutscher Mystiker und Dichter)FRAGEN
1. Wer ist Jesus Christus? 2. Wie kann er in dir leben? 3. Wie kannst du ihn erfassen?
KOMMENTAR
Das Kreuz befreit dich. Wenn du das Kreuz erlangst, sitzt du bei Gott.,
(Fall 135 aus Seung Sahns "The Whole World is a Single Flower ")FALL
Eines Tages, als Zen-Meister Man Gong in seinem Zimmer saß und den Blick aus dem Fenster genoß, kam sein Gehilfe und brachte ihm Tee. Man Gong sagte: "Tag für Tag mache ich überhaupt nichts. Warum bringst du mir Tee?" Sein Gehilfe beugte sich nahe zu ihm vor und sagte: "Bitte nehmt noch eine Tasse." Meister Man Gong lächelte.
FRAGEN
1. "Tag für Tag mache ich überhaupt nichts." Was bedeutet das? 2. Wenn du der Gehilfe wärest, wie hättest du Man Gong geantwortet?
KOMMENTAR
Ein Geist erscheint, die ganze Welt erscheint. Ein Geist verschwindet, die ganze Welt verschwindet. Nicht kontrollieren - tu es einfach.
Die Bedeutung des Augenblickes
FALL
Ein Mönch fragte Mazu: "Was ist die essentielle Bedeutung des Buddhismus?" Er antwortete: "Was ist die Bedeutung des Augenblickes?"
KOMMENTAR 1
Keine Bedeutung, alles ein Augenblick.
KOMMENTAR 2
Was ist die grundlegende Lehre? Welchem Weg soll ich folgen? Die Alten hätten schlauer geantwortet: "Der Baum dort im Hof braucht Wasser." - Zack!
Dem goldenen Wind ausgesetzter Körper
(aus dem Pi-yen-lu [The Blue Cliff Record])FALL
Ein Mönch fragte Yun Men: "Wie ist es, wenn ein Baum verdorrt und seine welken Blätter abfallen?" Yun Men meinte: "Dem goldenen Wind ausgesetzter Körper."
KOMMENTAR 1
Gesund zu sein, ist möglicherweise gut. Krank zu sein, ist möglicherweise schlecht. Kannst du den goldenen Wind fühlen? Was ist das Wichtigste?
KOMMENTAR 2
Eine junge Patientin, deren Tumor trotz intensiver Therapie unaufhaltsam größer wurde, weinte: "Ich weiß noch nicht einmal ob ich überhaupt 28 oder 30 Jahre alt werde!" - ".........."
Yunyan fegte den Fußboden
(aus dem Book of Serenity/Equanimity)FALL
Yunyan fegte den Fußboden, als Daowu vorbeikam, ihm eine Weile zusah und dann meinte: "Zu fleißig."
Yunyan entgegnete: "Du solltest wissen, dass es einen gibt, der nicht fleißig ist."
"Wenn das so ist, dann gibt es einen zweiten Mond."
Yunyan zog sich mühsam am Besen hoch und meinte: "Und welcher Mond ist das?"
KOMMENTAR 1
Ich habe keine Zeit für diese Geschichte. Und was ist mit dir?
Wie sind viel zu beschäftigt. Woher kommt das?
Jeder Strich mit dem Besen reicht überall hin.
KOMMENTAR 2
Was machst du, wenn du etwas machst? Läufst du deinen Fußspuren hinterher?
Was machst du, wenn du nichts machst? Läufst du deinen Fußspuren davon?
Wo bist du, wenn du hier bist?
FALL
Als Arnold Schönberg mich frage, ob ich mein Leben ganz der Musik widmen würde, sagte ich zu ihm: "Selbstverständlich!". Nachdem ich dann zwei Jahre bei ihm studiert hatte, meinte Schönberg: "Wenn man Musik schreiben will, mußt man ein Gefühl für Harmonie haben." Ich habe ihm dann erklärt, dass ich kein Gefühl für Harmonie habe. Er meinte daraufhin, dass ich immer auf ein Hindernis stoßen werde, es würde immer so sein, als ob ich vor eine Mauer laufe, die ich nicht überwinden könne. In diesem Falle, erwiderte ich, werde ich mein Leben ganz dem mit dem Kopf gegen die Wand Rennen widmen.
HINTERGRUND
Der einflußreiche zeitgenössische Komponist John Cage (1912-1992) wurde in Los Angeles geboren und traf 1933 während einer Europa-Reise den 12-Ton-Komponisten Arnold Schönberg (1874-1951). In den frühen 1950ern begegnete er in den USA dem japanischen Zen-Meister Daisetz T. Suzuki (1869-1966) und lernte bei ihm Zen kennen. Diese Begegnung hatte große Auswirkungen auf seine weiteren Kompositionen.
VERS
Absichtslos im Schweigen, absichtslos im Lärm.
Ist das nichts?
Ein paar Beulen und ein Lachen:
Mach die Tür auf, es zieht!
FALL
Ein Schüler kam zu seinem ersten Koan-Interview zu Zen-Meister Wu Bong. Nach der Verbeugung ließ sich der Schüler in Erwartung einer bedeutsamen Frage, auf die er eine natürlich eine bedeutsame Antwort geben wollte, vor dem Meister auf dem Kissen nieder. Der fragte ganz freundlich: "Wo kommst du her?" "Ich komme aus dem Rheinland,...." antwortete der Schüler und wollte zur näheren Erklärung ausholen. "Nein, nein", wurde er unterbrochen, "da kommt vielleicht dein Körper her, aber wo kommst DU her?"
(Reingefallen! Gestolpert über eine ganz unverfängliche Frage. Wie lautet doch das alte Koan: "Zeige mir dein ursprüngliches Gesicht, das Gesicht, das du hattest, bevor deine Eltern geboren wurden.")
"Ich weiß nicht..."
Wu Bong meinte daraufhin lächelnd: "Behalte immer dieses `Ich weiß nicht´ bei, dann bleibt alles klar!"
KOMMENTAR 1
Wo kommst du her? Eine tiefgründige Frage. Sind Eizelle und Spermie Ursache oder Wirkung? Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Kinder, Enkel, Urenkel ... Bitte sag mir: Wer bist du?
KOMMENTAR 2
Was weiß ich schon über `Ich weiß nicht´?
Ein schlauer Kommentar - `Ich weiß nicht´.
Ein alberner Kommentar - `Ich weiß nicht´.
`Ich weiß nicht´ schließt das Thema nicht ab, es öffnet es.
Wer bist du? Öffne die Tür.
© Arndt Büssing (2002)