Wie der RS 1000 sein Gesicht bekam
Meister des Sports Heinz Melkus hatte die Idee zu diesem Fahrzeug,
das eine sozialistische Arbeitsgemeinschaft zu Ehren des nun schon zurückliegenden
20. Jahrestages unserer Republik entwickelte. Dieser Rennsportwagen der
Gruppe 4 sollte die Alternative zu den Ende 1970 audgelaufenen Formel-3-Rennwagen
bieten. Die Melkus KG hatte mit dem Bau von etwa 80 Rennwagen genügend
Erfahrungen gesammelt, um bei der Konstruktion der RS 1000 vollkommen neue
Wege gehen zu können.
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Idee und Vorgabe
Der RS 1000 entstand - außer der Karosserie - unter weitgehender
Verwendung jener Teile, die zur Standardausrüstung der DDR-Kraftfahrzeuge
gehören. Die Verwendung von Standardteilen bringt allerdings neben
dem ungeheueren Vorteil des kostenspa-renden Materialeinsatzes auch Schwierigkeiten
für die Konstrukteure mit sich. Sie müssen ihre Idee von einem
neuen Wagen den bereits feststehenden und vorgege-benen Maßen unterordnen.
In der sozialistischen Arbeitsgemeinschaft „Sportwagen“ hatten sich
erfahrene Auto-bauer zusammengefunden. Und da in diesem Beitrag besonders
die Entwicklung der Form des Wagens interessiert, blenden wir einmal zurück
in das Jahr 1968, in das Zimmer des damaligen Direktors der Kunsthochschule
Berlin-Weißensee, Prof. Högner. Mit Erlaubnis des abwesenden
Hausherrn hatten sich eingefunden : Meister des Sports Heinz Melkus, die
Ingenieure Kühn und Zimmermann vom VEB Robur Zittau und der Dipl.-Formgestalter
Stefan Scheitler. Alle gruppierten sich um einen Schreibtisch, auf den
Heinz Melkus einen schweren Koffer gestellt hatte. Er enthielt ein Gipsmodell
vom RS 1000 im Maßstab 1:10, das nach seiner Idee gestaltet war.
„Was halten Sie davon ?“ war die entscheidende Frage an den Formgestalter.
Wie bereits Fachleute anderer Disziplinen in Dresden und Zittau kam auch
Stefan Scheitler zu dem Schluß, es könne aus dem noch unausgereiften
Entwurf bei entsprechen-der gestalterischer Überarbeitung ein brauchbares
Modell für den neuen Wagen ent-stehen. Eine reizvolle Aufgabe für
einen Formgestalter. Sollte er diesen Auftrag übernehmen ? Schließlich
wurde Stefan Scheitler Mitglied der sozialistischen Arbeitsge-meinschaft
„Sportwagen“. Er begann sofort mit der Arbeit, denn die Termine drängten,
und bis zum 20. Jahrestag der DDR sollte das neue Auto fertig sein.
Gebrauchswert und Schönheit
Naturgemäß gibt es von einer Idee bis zu ihrer Umsetzung
in die Wirklichkeit, bis alle formalen und funktionellen Erfordernisse
der Gestaltung weitgehend erfüllt sind, eine Reihe intensiver Untersuchungen
und Entwicklungen. Der normale Betrachter urteilt nach „schön“ oder
„nicht schön“. Aber das sind - über Geschmack läßt
sich bekanntlich streiten - sehr unkonkrete Kriterien, getragen von gefühlsmäßigen
Gewohnheits-eindrücken. Entscheidend ist immer die Synthese zwischen
hohem Gebrauchswert und gestalterischer Qualität ! Unter diesem Gesichtspunkt
muß man die Beurteilung eines neuen Projekts vornehmen und dazu natürlich
auch unvoreingenommen sein.
Die Entstehung des Geschmacks der Menschen entsteht durch die Auseinandersetzung
mit dem Bekannten, Gewohnten und dem progressiven Neuen. Und hier spielen
viele zusätzliche Faktoren hinein. Im Gespräch mit Dipl.-Formgestalter
Stefan Scheitler standen einige dieser Fragen zur Debatte. So muß
erstens die unterschiedliche Größe der verschiedenen Fahrer
beachtet und gleichzeitig die Verkehrsfläche optimal genutzt werden.
Also Vollheckwagen ! Das widerum wirft die Frage auf : Bei welcher
Form verschmut-zen die Rückfenster am wenigsten ? Warum eigentlich
hinten keine Scheibenwischer ? In Wirklichkeit, so meint er, stammt die
alte Heckform ja noch aus der Zopf-zeit, da man hinten einen Koffer anschnallte.
Wie sollen die Radausschnitte aussehen, eckig, oval oder rund ? Warum nicht
auf die Form des Rades beziehen ? Wo liegt der Sinn von oft sehr kompliziert
angebrachten und pflegeaufwendigen Zierleis-ten ? Ist der sichere und zweckmäßige
Ausbau des Innenraumes nicht wichtiger als Zierleisten ? Warum viereckige
Scheinwerfer ? Mode ?
Es gibt wohl noch Hunderte solcher Fragen, Grundsätze oder
Modeerscheinungen, auch in unserem Automobilbau. Lassen wir es dabei bewenden. |
Die Grundstudie
Stefan Scheitler begann auf Grund der von Heinz Melkus vorgegebenen
Maße, die von Weltstandsvergleichen ausgingen und die für diese
Formel notwendigen Bedin-gungen erfüllten, eine Grundstudie im Maßstab
1:5 in Plastilin zu modellieren. Diese kompakte Masse, die zwei Mann gerade
noch tragen konnten, wurde nun mit der Hand bearbeitet. Brot kneten, obgleich
das kaum noch jemand mit Händen macht, ist leichter ! Ausgehend von
den vorgegebenen Maßen ( 4m Länge, 1,70m Breite, 1,07m Höhe
und der veränderten Neigung der Wartburg-Frontscheibe ) wurden Bodenfrei-heit
und Scheinwerferhöhe bestimmt sowie Beschläge, Lampen, Rücklichter
und Blinker modelliert, und zwar so, daß sich alles harmonisch zu
einem Guß zusammen-fügte.
Bei der zweisitzigen Karosserie sollten das Vorder- und Heckteil
aus glasfaserver-stärktem Polyester, die Mittelzelle und die Bodenwanne
aus Stahl bzw. aus Alumin-iumblech bestehen. Das Vorderteil bekam eine
Klappe, um den Zugang zur Vorder-radaufhängung und zum Lenkgetriebe
sowie zum Kühler samt Zusatzgebläse, Schei-benwischanlage, Heizung,
Batterie und Elektrik zu erleichtern.
Die Mittelzelle erhielt ihre Form bereits durch die Abmessungen
der geänderten Front-scheibenneigung des Wartburg 353. Hinzu kamen
die am Dach angelenkten Türen, die nach oben geöffnet werden.
Die beiden Treibstofftanks mußten in der seitlichen Bodenwane Platz
finden, da der für diese Sportwagen-Formel vorgeschriebene Kofferraum
im Heck vorhanden sein mußte. Das Heckteil der Karosserie wurde wie-derum
am Dach der Mittelzelle befestigt. Es verkleidet den gesamten Motor ( in
der Mitte des Fahrzeugs angeordnet ), die Hinterräder, das Reserverad
und den „Pflicht-kofferraum“.
Dem Entwurf im Maßstab 1:5 aus Plastilin sah man das alles
jedoch noch längst nicht an. Hinzu kam jetzt noch eine Zeichnung im
Maßstab 1:5. Auf die Planzeichnung im Maßstab 1:1 mit den entsprechenden
Austragungen und Schnitten, das heißt auf die Festlegung der Zeichnungsschnitte
in der üblichen 10-cm-Teilung, wurde leider ver-zichtet. Sie hätte
eine genaue Übertragung auf das 1:1 Gipsmodell ermöglicht. Dieses
Versäumnis mußte dann am Modell in harter Arbeit nachgeholt
werden.
Im großen Serienbau werden erst fünf bis sechs Plastilinstudien
im Maßstab 1:5 her-gestellt, bevor man das ausgewählte Modell
mittels Tastsystem auf einen 1:1-Plasti-linkörper überträgt.
Wobei heute jedoch auch schon zur Modellprojektierung ( plas-tische Konstruktionen
aller Aggregate aus 1:1-Imitationsmaterialien wie Schaumpoly-styrol usw.
) übergegangen wird. Danach erst erfolgt die Planzeichnung.
Aber der RS 1000 sollte ja kein Wagen für die große Serie
werden, sondern eine sportliche Variante aus der Notwendigkeit heraus,
die sich aus der Änderung der Formel-3-Rennwagen ( jetzt 1600 cm3
) ergab.
Am Neujahrstag1969 stand Stefan Scheitler in einer kleinen Halle
des VEB Robur in Zittau und feilte am 1:1-Modell.
Dieses Modell, auf zwei Böcken stehend, bestand aus einem Holzgestell,
aus Schaumpolystyrol und etwa 2 cm Gipsüberzug. Beim Feilen kam dann
hin und wieder das Holz durch. Zuletzt mußte neuer Gips aufgetragen
werden, um alle Abweichun-gen vom 1:5-Modell, die bei der Vergrößerung
auf 1:1 entstanden waren, wieder aus-zugleichen.
Das fertige Gipsmodell wurde mit Schellack überzogen, darüber
kamen Glasfasermatten und ein Überstrich mit Polyester und Weichmacher
( GFK ). Diese aufgetragene Schicht, vom Gips gelöst, ergab dann die
Negativform der einzelnen Teile, nach der beliebig viele Stücke geformt
werden konnten.
Die Windkanalprüfung des 1:5-Modells an der Technischen Universität
in Dresden hatte ein überzeugendes Ergebnis gebracht. Der Luftwiderstandsbeiwert
( cW ) lag wenig über denen der absoluten Rennwagen. Das allein war
schon ein Kriterium, das die Idee dieses Wagens guthieß.
Inzwischen hat das Kollektiv der Werkstattschlosser und Fahrlehrer
der Melkus KG schon zahlreiche RS 1000 gebaut und erprobt. Dabei fanden
und finden sie gute Unterstützung bei den Karosserie- und Klempnerbauern
des VEB Robur. Das End-produkt sind Fahrzeuge, die für sich sprechen,
geboren in sozialistischer Gemein-schaftsarbeit und getragen von der Liebe
zur Sache, von der Freude am Motorsport.
Günther Heilmann |