Vorstellungen von Aesthetik aus der Sicht der Japaner
 



Die japanischen Staedte sehen heute sehr chaotisch aus. Selbst in Kyoto, wo unsere alte schoene Kultur relativ gut erhalten ist, erlebt man manchmal Enttaeuschungen: Solange man sich in einer gepflegten Tempelanlage befindet, fuehlt man sich wohl, wenn es nicht ganz voll ist. Aber wenn man rauskommt, sieht man gleich geschmacklose Plakate, Schilder und haessliche Gebaeude, die von japanischer Aesthetik nicht das Geringste spueren lassen. Ich frage mich oft, wo ist japanische Schoenheit geblieben? Aber was ist das eigentlich?

Ich moechte dieses Thema aus zwei Aspekten, naemlich aus Raum und Zeit betrachten.

1.Einstellung der Zeit gegenueber
Ich nehme bezueglich dieses Themas Musik als Beispiel, da Musik als "Zeitkunst" bezeichnet wird. Ich hoere gerade "Erbe zur Zukunft" von Toru Takemitsu und geniesse eine "ausserirdische" Atmosphaere. Takemitsu gilt als einer der bedeutendsten Komponisten Japans. Japanische traditionelle Musik ist ganz anders als die europaeische Musik gestaltet. Die europaeische Musik wird von regelmaessigen, angenehmen Rhythmen gestuetzt und mit der Steigerung dramatisch inszeniert. In einem Stueck von Beethoven hoert man also eine klare Struktur, naemlich Einleitung, Hauptteil, Klimax und Schluss. Es ist so geschickt konstruiert, dass man innerhalb des Spiels Tiefpunkt, Hoehepunkt und schliesslich Ruhe, also alle moeglichen Elemente miterleben kann.
Dagegen sind bei der japanischen Musik Regelmaessigkeit, klare Struktur oder emotionale Schwankungen kaum festzustellen. Man hoert ausserdem inmitten des Spiels ploetzlich scharfe, krachende aber eindrucksvolle "Schakuhachi" (Bambusfloete) Toene, die das Gleichgewicht des Stuecks beinahe zum Wackeln bringen koennen. Fuer Japaner ist "Setsuna", der augenblickliche Genuss wesentlich wichtiger als die Konstruktion insgesamt.
Ferner ist "Ma", die Pause, fuer uns von grosser Bedeutung. Man richtet im Stueck oft einen Zeitraum ein, in dem kein Ton mehr zu hoeren ist. Waehrend dieses tonlosen Zeitraums spannt sich die Atmosphaere, so dass es auf uns manchmal den Eindruck macht, als existiere die ganze Musik des tonlosen Moments wegen. Auch bei der europaeischen Musik gibt es zwar Pausen, aber diese sind meines Erachtens Atempausen, in denen man Luft holen muss, um den naechsten Schritt zu machen. Deshalb denke ich, dass Deutsche auf den tonlosen Moment keinen allzu grossen Wert legen im Gegensatz zu den Japanern. Bei unserer traditionellen Kultur ist der Begriff "Mujo" naemlich Fluechtigkeit, Unbestaendigkeit oder genauer gesagt "Nichts" das Hauptthema. Unsere Musik laesst uns von allen Begierden befreien und ermoeglicht uns, sich eine Weile im schwerelosen All beliebig zu bewegen.
Vom o.g. Beispiel zeichnen sich unterschiedliche Einstellungen der beiden Bevoelkerungen der Zeit gegenueber ab: Zeit ist fuer Deutsche eine geschlossene Zeitspanne, ueber sie sie einen klaren Ueberblick haben und deshalb vorausplanen koennen, waehrend wir Japaner dies als Kette der abgeschnittenen einzelnen Momente aber gleichzeitig als offen und endlos betrachten.

2.Einstellung dem Raum gegenueber
In Deutschland war ich von dem weiten Blickfeld der Deutschen sehr beeindruckt. Das laesst sich vor allem im vorbildlichen Staedtebau beweisen: Die deutschen Staedte und selbst kleine Doerfer sehen sehr harmonisch aus. Alle Gebaeude passen zu deren Umgebung sehr gut, da die strengen Bauvorschriften nichts anders erlauben. Deutsche haben also einen umfassenden Ueberblick ueber den Raum. Genauer gesagt sind Deutsche in der Lage, auch den weiten Raum als eine geschlossene Einheit zu sehen und dies insgesamt zu kontrollieren, waehrend Japaner dies nur bruchstueckhaft sehen und deshalb manchmal nicht faehig sind, dies koordinierend zu erfassen. Das sieht man schon in unseren chaotischen und konzeptlosen Stadtbildern, wie ich zu Anfang erwaehnt habe.
Aber was den kleinsten Raum anbelangt, haben wir etwas, worauf wir sehr stolz sein koennen. Ich nenne den Steingarten im Ryoan-Tempel in Kyoto als Beispiel. Dieser Garten ist eine sehr kleine Anlage mit weissem Kiesboden und mehreren Steinen, sieht sehr schlicht aus, stellt dennoch einen Mikrokosmos dar. Es gelang uns also, in so einem kleinen Garten das gigantische All zu inszenieren.

Fuer uns Japaner gelten Zeit und Raum als eine endlose, ungeschlossene, manchmal sich bis auf das All erstreckende aber gleichzeitig unkontrollierbare Welt, waehrend Deutsche dies meiner Meinung nach als ein vorausschaubares, geschlossenes und ergreifbares Objekt betrachten. In der Tat besitzen wir Japaner im Vergleich zu Deutschen weniger Raum und Zeit (Freizeit). Aber wenn wir unsere Seele im All schweben lassen, wie es unsere Vorfahren gemacht haben, koennten wir ueber endlosen Raum und Zeit verfuegen.

Mein Traum: Ich moechte irgendwo in einer Ecke ein kleines japanisches Haeuschen kaufen, dies aeusserst sparsam einrichten, dort einen kleinen Garten, naemlich "Tsuboniwa" anlegen und von da aus ueber das All nachdenken. Ferner werde ich die Zukunft nicht planen und im Augenblick leben.
Das sind die Vorstellungen von Aesthetik aus der Sicht einer JAPANERIN.

 

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